Trimum

TRIMUM - Musik auf Abstand

Vielfalt stärken.

Das Corona-Virus unterscheidet nicht zwischen Kulturen, Religionen und Nationalitäten. Die Hilfsmaßnahmen hingegen tun es: Wie stark Menschen von der Epidemie getroffen und eingeschränkt werden, ist auch eine Frage des sozialen Status, des Geldes und der Herkunft. Wer mit musikalischen Mitteln Solidarität zeigt, sollte deshalb andere Kulturen und Lebenssituationen mitdenken. (April/Mai 2020)

1) Zählt jedes Leben gleich viel?

Corona und Flucht

Ein Kanon zur aktuellen Situation in Flüchtlingsheimen und -lagern. Viele Geflüchtete in den hiesigen Erstaufnahmenlagern und an den EU-Außengrenzen sind gegenwärtig dazu gezwungen, unter Bedingungen zu leben, die für die restliche Bevölkerung aus guten Gründen verboten und mit Bußgeld belegt sind. Derweil stehen im ganzen Land tausende Hotels leer. Wer aktiv etwas gegen diese untragbare Situation tun möchte, findet unter dem Stichwort #leavenoonebehind verschiedene Möglichkeiten, sich zu solidarisieren und zu engagieren.

Video: Marie Louise, Mazen Mohsen und Alon Wallach in einem interkulturellen Online-Konzert auf ScalaTV.

Noten zum Selbersingen gibt es hier

Tutorial: Und hier bringt euch Friederike Frenzel ( musikann.org ) die Melodie bei:


Die Wiedergabe funktioniert nicht? Wir arbeiten daran. Hier gehts direkt zum Video

2) Ostern – Pessach – Ramadan

Vielfalt hörbar machen

Ostern und das jüdische Pessachfest (8. bis 16. April) konnten dieses Jahr nur online und im kleinen Familienkreis gefeiert werden. Und auch der islamische Fastenmonat Ramadan (23. April bis 23. Mai) ist betroffen.

Das Team von TRIMUM hat deshalb einige Ideen entwickelt, wie wir trotz (oder gerade wegen) Epidemie und Kontaktsperre unseren Zusammenhalt in schweren Zeiten ausdrücken und miteinander die Schönheit, Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Religionen feiern können.

a) Ramadan in Zeiten von Corona

Am 23. April beginnt in diesem Jahr der islamische Fastenmonat Ramadan. Das abendliche Fastenbrechen (Iftar) ist für viele Musliminnen und Muslime eine Zeit der Begegnung und der Gastfreundschaft. Diese Tradition kann in diesem Jahr nur sehr eingeschränkt umgesetzt werden. Sich zum gemeinsamen, festlichen Essen zu treffen, wird nicht möglich sein. Stattdessen muss das Fastenbrechen auf untypische Weise im engsten Familienkreis gefeiert werden.

Gebetsruf in die Öffentlichkeit: Ein Aufruf (auch) an Nicht-Muslime

Ostern war vielerorts mit Glockengeläut und festlichen Osterchorälen aus den Fenstern und von den Balkons in der Öffentlichkeit präsent (s.u.). Auch der islamische Gebetsruf sollte in diesem besonderen und schweren Jahr während des Ramadans an möglichst vielen Orten in der Öffentlichkeit zu hören sein, wie es in vielen anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit ist.
An einigen großen Moscheen wird dies bereits umgesetzt. Aber was ist mit kleineren Orten und Stadtvierteln, in denen es keine Moschee und keine größeren islamischen Gemeinden gibt? Wir finden: Hier sollte die säkulare und christliche Mehrheitsgesellschaft Solidarität zeigen, aktiv und einladend auf Muslim*innen zugehen und sich dafür einsetzen, dass der Gebetsruf in der Öffentlichkeit erklingen darf. Unterstützt wird unser Aufruf vom Stuttgarter Haus Abraham e.V.

Wir wissen, dass unser Vorschlag eine gewisse Brisanz hat. Der islamische Gebetsruf wird hierzulande von vielen – zu Unrecht! – mit Islamismus, Gewalt und mit einem angeblichen Herrschaftsanspruch des Islam in Verbindung gebracht. Viele wissen nicht, dass seine erste Zeile („Gott ist größer“) keine Überlegenheit gegenüber anderen Religionen ausdrücken soll, sondern darauf verweist, dass Gott nach islamischer Überzeugung „größer als alles“ und mit nichts vergleichbar ist.
In unserem Konzertprojekt „Fugato“ schildert Mohammad Aldeeb in einem sehr persönlichen Vortrag, wie er den Gebetsruf versteht. Die große Mehrheit der hier lebenden Muslim*innen wird seine Sicht teilen:

Unser Vorschlag: Lassen Sie den Gebetsruf während des diesjährigen Ramadans an möglichst vielen Orten in der Öffentlichkeit erklingen: Nicht nur dort, wo es eine große Moschee gibt, sondern überall, wo praktizierende Muslime leben.
Der erste Impuls dafür sollte nicht allein von Muslim(inn)en ausgehen, sondern von nachbarschaftliche Netzwerken, Kirchengemeinden oder säkularen Vereinen – andernfalls sind Konflikte vorprogrammiert. Deshalb unser Appell gerade auch an die Nicht-Muslim(inn)en: Nutzen Sie die Krise, damit wir uns kulturell näher kommen und unsere Vielfalt hörbar machen können. Werben Sie in Ihrer Umgebung für diese Idee. Gehen Sie eigeninitiativ auf die Musliminnen und Muslime in Ihrer Umgebung zu und ermutigen Sie sie dazu, sich und uns allen ein kleines Stückchen gemeinsam begangenen Ramadan zu ermöglichen. Vielleicht lernt ja der eine oder die andere Nicht-Muslimin den Gebetsruf als kleinen Ersatz für den ausgefallenen Osterurlaub zu schätzen…

Einige Tipps:
1) Der Gebetsruf in der Öffentlichkeit – das ist für manche Menschen fremd und gewöhnungsbedürftig. Nehmen Sie Vorbehalte ernst und gehen Sie freundlich und sachlich argumentierend darauf ein.
2) Überlegen Sie, wie sich diese Idee in Ihrer Straße oder Ihrem Stadtviertel technisch am besten umsetzen lässt. Vielleicht gibt es eine exponierte Stelle, an der ein Lautsprecher installiert oder ein Megaphon verwendet werden kann?
3) Beginnen Sie in kleinen Schritten. Möglicherweise wäre es für manche Anwohner eine Überforderung, wenn der Gebetsruf gleich fünf mal am Tag erklänge. Ihn abends, zur Zeit des Fastenbrechens erklingen zu lassen, wäre ein schöner Anfang.

Übrigens: Bereits der Prophet Mohammed empfahl, das Gebet im Falle einer Seuche zu Hause zu verrichten. Wo der Gebetsruf sonst dazu auffordert, “zum Gebet zu kommen”, kann in diesem Fall gerufen werden “Betet in euern Häusern”.
>> Videobeispiel

b) Pessach

Vielerorts wird gegenwärtig das nachbarschaftliche Singen und Musizieren als Ausdruck der Hoffnung und des Zusammenhalts genutzt – auch und gerade an Ostern (s.u.). Die Juden und Jüdinnen sind in Deutschland eine kleine Minderheit. Ihre Gemeinden haben sehr große Einzugsbereiche – entsprechend selten haben Juden jüdische Nachbarn. Begegnung wird damit in diesem Jahr unmöglich. Aber wir können das Pessachfest beim nachbarschaftlichen Singen mitdenken und ein Pessachlied als symbolischen Gruß in unser nachbarschaftliches Sing-Repertoire aufnehmen.

Ma Nishtana

Das in der jüdischen Welt sehr bekannte Pessach-Lied Ma Nishtana wechselt zwischen Vorsänger und antwortendem Chor. Falls es in der Nachbarschaft eine*n notenkundige*n Vorsänger*in gibt, kann es beim “Balkon-” oder “Fenstersingen” in voller Länge als Frage- und Antwortgesang realisiert werden. Andernfalls kann man sich auch auf den Refrain beschränken. Ein kleiner Video-Workshop des Kantors und Sängers Assaf Levitin aus dem Team von TRIMUM. Die Noten gibt es hier als download

Das gleiche Lied, gemeinsam gesungen beim virtuellen Familientreffen in Mount Perry (Queensland), Sidney, Tel Aviv und Stuttgart.

c) Ostern

Weil in diesem Jahr keine öffentlichen Ostergottesdienste stattfinden können, wird Ostern in der Öffentlichkeit klanglich auf besonders schöne und festliche Weise präsent sein. Am Ostersonntag (12.4.) um 12.00h findet ein ökumenisches Läuten aller Kirchenglocken statt. Das Evangelische Posaunenwerk Hannover ruft ebenfalls am Ostersonntag unter dem Motto #osternvombalkon dazu auf, um 10.15h an Fenstern, aus Türen und Gärten das alte Osterlied „Christ ist erstanden“ anzustimmen.

Inhaltlich sollte man das Osterfest nicht mit anderen Religionen vermischen – es ist ein exklusiv christliches Fest, das sich auf Jesu Auferstehung bezieht. In normalen Zeiten hätte man sich, wie bei allen religiösen Festen, gegenseitig einladen, besuchen und wertschätzend zur Kenntnis nehmen können. Dies scheint in Zeiten von Corona nahezu unmöglich zu sein. TRIMUM stellt eine Möglichkeit vor, wie sich auch Menschen ohne christliches Bekenntnis an diesen Aktionen beteiligen können und gemeinsam mit den Christinnen und Christen ihre Hoffnung auf bessere Zeiten zum Ausdruck bringen können.

Interkulturelle Kirchenglockenmusik

In jeder Stadt und jedem Dorf gibt es Kirchenglocken. Viele Jahrhunderte lang haben sie sowohl religiöse als auch säkulare Funktionen erfüllt: Sie riefen zum Gottesdienst, sie warnten aber auch vor Feuer oder Unwetter und halfen, den Tag zu strukturieren. Sie werden im Christentum nicht als „religiöse Musik“ verstanden. Man kann sie aber durchaus mit musikalischen Ohren hören und musizierend in ihren Klang einstimmen – auch wenn man selber nicht dem christlichen Glauben angehört. Mazen Mohsen, Sänger und Oud-Spieler aus dem Team von TRIMUM demonstriert, wie man zu Kirchenglocken improvisieren kann.

Verabreden Sie sich doch mit Ihren Nachbarn am Ostersonntag um 12.00h mit ganz unterschiedlichen Instrumenten zur “interkulturellen Glockenmusik” aus den Fenstern und von den Balkons. Oder vielleicht haben Sie ja sogar Nachbarn, die sich um 10.15h an der Aktion des Evangelischen Posaunenwerks beteiligen. Musiker*innen ohne christliches Bekenntnis können mit einer kleinen Kirchenglocken-Improvisation auf das Lied „Christ ist erstanden“ antworten oder es ganz behutsam begleiten. In diesem Fall sollten die Töne auf die Tonart des Liedes abgestimmt werden: Notenbeispiel

Hier noch eine weitere Kirchenglocken-Improvisation von Mazen Mohsen:

Ostersingen für Kleinfamilien

Und was ist mit denen, die einfach nur Ostern feiern wollen – ohne interkulturelle Extras? Wie in den letzten Tagen den Medien zu entnehmen war, werden manche katholische und evangelische Kirchen an Karfreitag und Ostern geöffnet sein. Für Familien, die ohnehin zusammen leben, eröffnet sich damit die schöne und seltene Möglichkeit, einen Kirchenraum an Ostern für sich alleine zu haben und exklusiv die Akustik auszukosten. Emil, Svenja und David geben eine Kostprobe, wie das klingen kann:

3) Nachbarschaft weiter denken

Balkonsingen als interkulturelles Statement

Für alle, die das nachbarschaftliche Singen als Statement für mehr internationale Nachbarschaftshilfe und gegen den Rückzug ins Nationale nutzen möchten, hier ein Beitrag aus unserer Trimum-Werkstatt: Eine aktuelle “Corona-Neutextierung” zu Die Gedanken sind frei als Statement für mehr internationale Nachbarschaftshilfe und gegen den Rückzug ins Nationale. Instrumentale Begleitstimmen und Übersetzungen des neuen Textes in verschiedene Sprachen werden wir in Kürze veröffentlichen.

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten
sie fliegen vorbei wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen
kein Jäger erschießen.
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei

Sind wir auch wie gefangen in der Quarantäne
Gibt’s doch Zuversicht und Hoffnung und Pläne.
Und bei allen Sorgen
gibt’s doch auch ein morgen
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei

Es zählt nicht die Herkunft und nicht Differenzen
Ein Virus, das kennt keine Staaten und Grenzen.
Drum helft euch, zu retten:
Teilt Masken und Betten!
Es bleibet dabei: Nur zusammen sind wir frei.

>> Der neue Text als Download