Zwischen Ende März und Anfang Mai hat TRIMUM in kleinen, interdisziplinären Teams die Spielräume und Aufgabenfelder eines verantwortungsvollen „Musizierens auf Abstand“ erforscht. Seither hat sich viel getan.
Einige unserer damaligen Vorschläge zählen mittlerweile zum Standard der einschlägigen Hygiene-Empfehlungen. Andere wurden auf erfreuliche Weise aufgegriffen und weiterentwickelt. In Baden Württemberg entstand eine Initiative Theater auf Abstand. In Osnarbrück lief im August Kultur auf Abstand an.
Ein besonders schönes Partnerprojekt fand im westfälischen Vlotho statt. Hier haben Peter Ausländer, Tina von Behren-Ausländer und weitere Mitstreiter*innen zwei Stadtmusiken mit dem Titel Abstände und klingende Zwischenrufe ausgeheckt, zu der eine nicht minder schöne Dokumentation entstanden ist.
Und auch wir selber konnten einen Großteil unserer Ideen mittlerweile in die Tat umgesetzen: So veranstalteten wir im Rahmen des Hamburger Stadtteilkantorats im Oktober 2020 die kleinste Welttournee aller Zeiten und verwandelten im zweiten Lockdown (Dezember 2020) ein Evangelisches Gemeindezentrum in ein infektionssicheres und interreligiöses Haus für alle
Pferde und Elefanten
Besonders weite Kreise haben im Frühsommer 2020 unsere Anregungen zum physical-distancing-Training für Vor- und Grundschulkinder gezogen. Unsere theaterpädagogische Materialsammlung “Das unsichtbare Pferd” wurde (teilweise auch unter dem Titel “Das gläserne Pferd”) von den Bildungsservern mehrerer Bundesländer empfohlen. Ob sie auch den Anstoß für dieses Bilderbuch gab, wissen wir nicht:
Andere Ideen (wie etwa die des solidarischen Teilens von Kirchenräumen oder eines neues Netzwerks für musikalische Bestattungskultur) sind – leider – ein utopisches Gedankenspiel geblieben.
Balkonsingen, rollende Klaviere, DJs auf dem Dach: Momentan können wir in Echtzeit miterleben, wie aus Erfindungsreichtum, eingeschränkter Bewegungsfreiheit und der Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Resonanz und Begegnung in kürzester Zeit eine neue Volksmusikkultur entsteht.
Seit wir diese Seite betreiben, erreichen uns E-Mails mit Berichten und Impressionen von großartigen musikalischen Initiativen. Wir stellen einige Ausschnitte daraus vor.
Esslingen, 26. April: Interkulturelles Nachbarschaftssingen
Bereits zum sechsten Mal hat die Dirigentin Steffi Bade-Bräuning zusammen mit mehreren Chören und Ensembles seit einigen Wochen zum Balkon- und Fenstersingen eingeladen. Nach Klassikern wie der “Ode an die Freude”, “Möge die Straße uns zusammenführen” und “We shall overcome” wurde diesmal das türkische Kinderlied „Güzel Günler“ gesungen – laut Bade-Bräuning ein “Lied auf das Leben und auf das Glück der Kinder”.
Die Dirigentin schreibt weiter: “Dieses Lied musizieren wir aus Solidarität mit den Opfern der Coronakrise in der Türkei. Wir alle haben Freunde, Kollegen, Bekannte, die um ihre Angehörigen in ihrem Heimatland bangen und wollen gerne dieses Zeichen der Verbundenheit setzen. Zur Aussprache des türkischen Texts empfehle ich, Kontakt zu Eurer türkischen Arbeitskollegin oder Eurem türkischen Nachbarn aufzunehmen. Sie geben sicher gerne Auskunft – und singen vielleicht am Ende sogar mit? Dann gäbe es eine wahrhaft interkulturelle Hausmusik!”.
Die Noten können (nur zum privaten Gebrauch, nicht zur Vervielfältigung) hier heruntergeladen werden: https://images.app.goo.gl/HtVow4aCvrEoAc9r5
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24. April, Initiative “Konfetti im Kopf”
“Rockdown statt Lockdown: Lieder gegen die Einsamkeit” ist eine Veranstaltung von KONFETTI IM KOPF, die regelmäßig die BewohnerInnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen mit Musik verzaubert und unbeschwerte Momente schenkt. Bislang schon zwölf mal. Unsere KünsterInnen erfreuen sonst die BesucherInnen im KONFETTI Cafe und nun verbinden sich die Herzen der Menschen mit Abstand ohne Abstand. Ist die Strasse die Bühne, entsteht sofort das beschwingte Gefühl von einem Strassenfest. Leute bleiben stehen, staunen, singen, tanzen und applaudieren und immer : lächeln sie. Ist die Bühne ein Innenhof, ist es intensiver. Es wird getanzt, auch wenn Glas dazwischen ist und es sogar eine Luftline gibt. Die BewohnerInnen im zweiten Stock tanzen im gleichen Rhytmus, wie die Menschen am Boden. Das ist Gänsehautatmosphäre pur.
Keine Sprache kann die Magie beschreiben, die in der Musik liegt, die alle miteinander verbindet: Die Menschen, die pflegen, die gepflegt werden, mit Demenz, ohne Demenz, die musizieren, die tanzen, die singen und miteinander schwingen in dieser Freude am Leben zu sein.
(Andrea Siemsen, Konfetti im Kopf – Demenz berührt mit vielen Gesichtern)
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Hamburg, 19. April: Stelzenkunst vor dem Seniorenheim
Vergangenen Freitag haben wir endlich mal wieder performt und es war eine riesige Freude für uns und für alle, die mit uns getanzt und im Takt der Musik gewunken haben. Eigentlich wären wir als Straßenkünstler unterwegs in Deutschland und aller Welt, aber jetzt sitzen wir zu Hause und alles einschließlich unserer Gagen ist auf 0. Zeit neue Kostüme zu machen und unsere Kunst auf andere Art und Weise in die Welt zu bringen. Auftakt war am Freitag rund um das Hospital zum Heiligen Geist in Hamburg: Angelockt durch die energievolle Salsa und Kumbia Musik, die wir mitbrachten, und die bald die Innenhöfe beschallte, öffneten sich Fenster und Türen der großen Wohnanlage für SeniorInnen. Es war immer wieder eine Freunde für uns neue Gesichter zu entdecken, ZuschauerInnnen, die sogleich selbst zu AkteurInnen wurden und uns lachend zuwinkten oder im Takt die Hüfte schwangen.
Nach diesem wundervollen Auftakt, werden StelzenläuferInnen der Company Oakleaf Streetshow bei guten Wetter nun jeden Freitag unter dem Motto “Kontaktloses Auftreten” in Hamburg unterwegs sein.
(Bettina Eichblatt und Joana Naomi Welteke, Oakleaf Streetshow)
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Troisdorf, 19. April: „Singen-auf-Abstand“ im Alfred-Delp-Altenzentrum
(...) Wöchentlich gehe ich ins Altenzentrum und singe, von Chormitgliedern und Familienangehörigen unterstützt, die Terrassen, Balkone, offene und gekippte Fenster der verschiedenen Häuser der Einrichtung an. Das Programm besteht aus sich wiederholenden, und wöchentlich abwechselnden Liedern. So hat jedes Singen ritualisierte und neue Momente. Was braucht es, abgesehen von Stimmen, eventuell Instrumenten und Liedprogrammen? Die Unterstützung der Sozialleitungen, die sich darum kümmern, dass mobile Bewohner auf die Balkone oder an die Fenster gehen, die die Fenster öffnen, damit bettlägerige Bewohner zumindest mithören können. Was ist der Lohn? Die freudige Begrüßung und Verabschiedung, strahlendes Sich-zuwinken und gleichfalls das Engagement der Beschäftigten in den Häusern, die „nicht nur ihre Arbeit verrichten“, sondern in jeder Etage der Häuser Bewohner*innen ermuntern mitzumachen und es selber auch tun (...).
(Brigitte Rauscher, Kantorin)
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Flensburg, 10. April: Ostertrompeten und Straßenkunst
In unserer Straße wird bereits seit drei Wochen jeden Abend um 19.00 Uhr aus den Vorgärten und vom Straßenrand gesungen und Ostern werden “Ostertrompeten” morgens am Strand stehen und in der Nähe von Senioren-Wohnanlagen. In einer Straße von Flensburg gibt es spannende Straßenkunst. In meinem Beruf als Bibliothekarin denke ich in Bezug auf den Umgang mit Sprache und Literatur ebenfalls über neue Erfahrungen zwischen Kultur und Natur nach. Auch ich nutze digitale Formen in großer Vielfalt – aber ich sehe ein deutlich größeres und spannenderes Potential in analogen Kunst- und Kulturerlebnissen, die gerade aus der Begrenzung neue Freiräume schaffen.
(Susanne Brandt, Autorin und Bibliothekarin)
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Hamburg, 7. April: Balkonsingen im Pflegeheim
heute veranstaltete ich mein drittes balkonsingen für ein pflegeheim, das ich als freiberuflich tätiger musiktherapeut derzeit nicht betreten darf. bewohner.innen und pflegende stehen und sitzen miteinander an fenstern und auf balkonen, erleben sich gemeinsam durch die gemeinsame musik. sie wirken teilweise richtig beseelt beim mitsingen, tanzen und zuhören. es wird miteinander und über die distanz mit mir viel kommuniziert. zunächst überraschend für mich: nach und nach finden sich – in gebotenem abstand zueinander – ca. 40 passant.innen auf der gegenüberliegenden straßenseite ein: spaziergänger, die, durch die musik angelockt, stehenbleiben. ihr mitsingen und applaudieren tut den menschen im pflegeheim sichtlich wohl – sie fühlen sich gesehen. (Jan Sonntag)
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Hamburg, 7. April: Abendliches Sing-Ritual
In Zeiten der Corona-Krise halte ich abends Balkonkonzerte für meine Nachbarschaft in der Eichenstraße, Hamburg-Eimbüttel, ab. Ich beginne die Konzerte ca. 18.40h. Nach einleitenden Worten zum Dank an alle helfenden Hände in diesen schweren Zeiten, genannt sind dabei Krankenschwestern und -pfleger, Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeiter im Einzelhandel und im Transportgewerbe, beginne ich mit englischen Oldies der 60er – 80er Jahre sowie Stücken aus Spanien und Lateinamerika (Flamenco und traditionelle Lieder). Kurz vor 19.00h singe ich als vorletztes Lied “Halleluja” (Leonard Cohen), jedoch in der sog. Corona-Version, bei dem ich das Publikum zum Singen einbeziehe. Das Mini-Balkonkonzert findet sein Ende mit dem Stück “Der Mond ist aufgegangen” (Matthias Claudius). Wir singen gemeinsam alle sieben Strophen. Die gesamte Zeitdauer beläuft sich auf ca. 20 – 25 min.
(Juan Luis Merinero, Gitarrist und Sänger)
Ergänzungen von Jan Sonntag:
jeden abend singen viele nachbarn aus unserem viertel, dem aufruf der evangelischen kirche folgend, um 19h an fenstern und auf balkonen “der mond ist aufgegangen”. (...) eine tiefe und existentielle verbundenheit ist spürbar. der text des liedes geht angesichts der aktuellen situation echt unter die haut. (...) schätzungsweise bis zu 50 nachbar.innen nehmen an der aktion teil. nach dem “mond” tritt immer ein ca. 9jähriger junge ans fenster, setzt seine trompete an und spielt die melodie des liedes noch einmal als postludium.
Heilbronn, 6. April: Fensterkonzerte für Senioren
Besonders am Herzen liegen mir auch Hochaltrige, die NICHT in Pflegeheimen liegen. Zu ihnen gehe ich schon seit längerer Zeit für „musikalische Hausbesuche“. Ich entwickle das Programm gerade weiter, um noch mehr alten Menschen kulturelle Bildung zuhause zu ermöglichen. In der jetzigen Situation mache ich zwar keine Hausbesuche mehr, aber dafür Fensterkonzerte. Fensterkonzerte bei einer 88-Jährigen und bei einer 90-jährigen Frau habe ich bereits gemacht. Die nächsten Wochen habe ich schon fast eine kleine „Tour“ anstehen. (Anette Zanker-Belz)
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Overrath, 6. April: Straßensingen mit den Nachbarn
In einer Sackgasse mit 10 Einfamilien-Häusern praktizieren wir Straßensingen. Seit 2 Wochen versammeln sich jeden Abend bis zu 20 Nachbarn in großen Abständen vor den Haustüren. Sie bekommen als Einstimmung ein kleines Saxophon-Stück zu hören vom Bluetooth-Lautsprecher als Playback unterstützt . Danach singen wir Volkslieder, anfangs nur „Der Mond“, nun auch andere allen bekannte. Ein ehemaliger Berufsmusiker hat zu einigen Begleitakkorde gesetzt, die das Singen erleichtern. Nach einem kurzen Gesprächsaustausch verabschieden wir uns mit guten Wünschen zur Nacht bis zum nächsten Tag. Überm orgen ist Vollmond, da will ich zuerst „How High The Moon“ spielen. (Dieter Lohmann)
>> Einige Impressionen
13. Mai 2020 Nachbarschaftliche Nähe dank Corona-Abstand: Fernsehbeitrag des NDR.
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6. Mai 2020 Professionalisierung (5): Dortmunder Oper startet Konzertreihe vor Seniorenheimen
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20. April 2020 Professionalisierung (4): Orchestermusiker vor dem Altenheim. Bericht aus Osnarbrück
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19. April 2020 Professionalisierung (3): Staatsoper Stuttgart ruft zum Balkon-Musizieren auf
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15. April 2020 Professionalisierung (2): Musiker des SWR-Symphonieorchesters in Altenheimen und Krankenhäusern
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14. April 2020 Professionalisierung (1): Bläserquartett der Staatsoperette Dresden spielt vor Pflegeheimen
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12. April 2020 Kirchen-Flashmob und Quarantäne-Orchester: Bericht aus Bremen
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12. April 2020 Gartenkonzert für Senioren in Unna
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12. April 2020 Osterlieder-Flashmob: Initiative des Evangelischen Posaunenwerkes
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Ostern 2020 Alternativer Friedensmarsch: Aufruf des Netzwerks Friedenskooperative >> Zum Aufruf
5. April 2020 “Lieder, die verbinden”: Kostenloses Notenmaterial für Bläser
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5. April 2020 Straßenmusik in Gernrode: Beitrag der Mitteldeutschen Zeitung
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31. März 2020 Jagdhornbläser spielen “Dankeschön”: Beitrag NWZ-online
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31. März 2020 Musik am Fenster: Initiative des Volksmusikerbundes NRW
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25. März 2020 Querbeetsingen in Offenburg: Beitrag der Badischen Zeitung
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18. März 2020 Evangelische Kirche in Deutschland lädt zum “Balkonsingen” ein.
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Balkon-Flashmob in Hanau: Beitrag des Hanauer Anzeigers
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Mit dem Rollklavier durch die Straßen (1): Beitrag des SWR
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Mit dem Rollklavier durch die Straßen (2): Kreiszeitung
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Solidaritätslied für Italien: “Bella ciao” in Bamberg
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DJ auf dem Dach: bild.de
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Heiraten in Zeiten von Corona: Beitrag des NDR
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(Weitere Links und einen Rückblick auf die internationalen Anfänge des Musizierens in Quarantäne bieten die Seiten www.jbusse.de/public/Quarantoene und www.balkonmusik.de von Johannes Busse.)