Trimum

2014 - Musik des Trialogs

Paradiesische Vielfalt und unerforschtes Neuland

Einführungstext zu den Konzerten am 21.9.2014 in Esslingen am Neckar

Woher stammen wir? Aus einem Garten! Judentum, Christentum und Islam sind sich in dieser Frage sehr einig: In allen drei Religionen lebten Adam und seine Frau im Paradies. In allen drei Religionen wird »ǧanna«, »Gan Eden« oder der »Garten Eden« als ein Ort der Wonne und des Überflusses beschrieben. Prächtig, vielfältig und überbordend wie dieser Garten selbst sind auch die Beschreibungen und Überlieferungen, die sich um ihn ranken. In unseren beiden Konzerten wollen wir diese Vielfalt lebendig werden lassen: Mit geistlichen Chorstücken und Gesängen, Liebesliedern und Lobpreisungen, Rezitationen und Textlesungen aus jüdischer, christlicher und islamischer Tradition.

Konzertprogramme wie diese werden normalerweise von wenigen Menschen „erfunden“: Ein einzelner Kopf oder ein kleines, überschaubares (und in der Regel kulturell recht homogenes) Team entscheidet darüber, welches Thema das Programm haben soll und welche Stücke gespielt werden.
Bei der Planung und Konzeption der beiden heutigen Konzerten war das völlig anders. Sie sind in einem langen Prozess der Verständigung zwischen unterschiedlichsten Menschen und Gruppierungen entstanden. Ein großer Teil des Programmes kommt aus Esslingen selbst und bildet die für diese Stadt so typische kulturelle Vielfalt ab: Mehrere Esslinger Chöre haben ihre Programmvorschläge beigesteuert, einige Projektchöre und –ensembles sind sogar eigens für dieses Konzert gegründet worden. Kinder und Jugendliche haben eigene Musikstücke erfunden und kleine Filme gedreht. Esslinger „Neubürger“, die erst seit wenigen Monaten in Deutschland leben, sind gemeinsam der Frage nachgegangen, was „Heimat“ und „Herkunft“ für sie bedeuten.
Parallel dazu haben sich unter dem Dach der Internationalen Bachakademie jüdische, christliche und muslimische Sängerinnen und Sänger, Theologinnen und Komponisten aus Stuttgart und ganz Deutschland über mehrere Monate hinweg mit den unterschiedlichen Lesarten der Paradiesgeschichte beschäftigt. Im regelmäßig stattfindenden „interreligiösen Chorlabor“, im Rahmen von Universitätsseminaren und interdisziplinären Konzeptwerkstätten wurden Ideen und Lieder gesammelt, Texte aus Koran und Bibel verglichen, wurde gemeinsam improvisiert und komponiert. All diese verschiedenen Akteure und Schauplätze mussten miteinander koordiniert, ihre Arbeitsergebnisse in ein schlüssiges Gesamtkonzept überführt werden. Reichlich viel Aufwand für einen einzigen Veranstaltungstag?

Vielleicht wäre dieser Arbeitsaufwand tatsächlich übertrieben, wenn es bei alledem bloß um diese zwei Konzerte ginge. Doch bei TRIMUM, einem mehrjährigen Projekt der Internationalen Bachakademie und vieler weiterer Partner, geht es um sehr viel mehr. Als wir Ende 2011 mit unserer Arbeit begannen, ließen wir uns auf ein Abenteuer mit völlig offenem Ausgang ein. Können Juden, Christen und Muslime miteinander singen? Kann Musik zur interreligiösen Verständigung beitragen, kann sie vielleicht gar zu einem eigenständigen Aktivposten des Trialogs werden? Dies alles waren offene Fragen, unser Vorhaben führte uns auf völlig unerforschtes Neuland – und ein klein wenig glich unsere Vorgehensweise der allmählichen Urbarmachung eines fremden, unerschlossenen Bodens.
Anfangs begegneten wir uns wie Spaziergänger: Als unwissende, staunende, neugierige Betrachter ohne irgendeinen Anspruch, uns aktiv in die Musik des Anderen einzumischen. Jede Religion und Musikkultur sprach für sich selber, die Angehörigen der beiden anderen Religionen blieben Zuhörer.
2013, im zweiten Jahr unseres Projektes, gingen wir dazu über, uns wechselseitig in unsere musikalischen Traditionen einzuladen, sie miteinander zu teilen und uns dabei immer besser kennenzulernen. Einmal pro Monat traf eine wachsende Gruppe von Interessierten sich zum „Interreligiösen Chorlabor“, um gemeinsame begrenzte Ausflüge zu unternehmen: In die Welt der klassisch-türkischen Musik oder der Gregorianik, in die Musik der sephardischen Juden, der Araber oder der Aleviten, in uralte Gesangsformen der Synagoge oder zeitgenössische Improvisationstechniken der mitteleuropäischen Avantgarde.
Seit Anfang 2014 haben wir damit begonnen, uns – neben der Auseinandersetzung mit dem bereits Vorhandenen – Schritt für Schritt an die Idee einer eigenständigen „Musik des Trialogs“ heranzutasten. Der interdisziplinäre Dreiklang von musikalischem, kompositorischem und theologischem Knowhow ist dabei von entscheidender Wichtigkeit: Um leichtfertige Vermischungen und ungewollt Vereinnahmendes oder Übergriffiges zu vermeiden, wird jede neue Idee aus Sicht dreier Musikkulturen und dreier Religionen auf ihre Stimmigkeit geprüft. Mit besonderer Intensität und Dynamik hat sich dabei in den zurückliegenden Monaten der jüdisch-islamische Dialog entwickelt, der historisch gesehen an eine reiche Tradition des musikalischen Austauschs anknüpfen kann, hierzulande aber ansonsten kaum Orte und Anlässe findet. Gerade in den letzten Wochen hat dieser Aspekt eine bittere Aktualität und Relevanz erhalten: Dass Juden und Muslime sich auch in konfliktreichen Zeiten wie diesen zu einer solch fruchtbaren und freundschaftlichen Zusammenarbeit zusammenfinden, ist momentan das vielleicht wichtigste Zeichen, das unser Projekt zu setzen vermag.

Und auch sonst können wir als Zwischenbilanz der zurückliegenden drei Jahre mit Stolz festhalten, dass wir die offenen Fragen der Anfangszeit mittlerweile klar beantworten können: Ja – Musik kann zur interreligiösen Verständigung beitragen. Ja – Juden, Christen und Muslime können miteinander singen. Ja – eine eigenständige „Musik des Trialogs“ ist möglich und umsetzbar.
Der Weg zu dieser Gewissheit war lang und abenteuerlich, voller aufregender Entdeckungen, aber auch voller Irrtümer und Fehlschläge. Umso wichtiger war es, dass wir, unseren Geldgebern sei Dank, in den zurückliegenden drei Jahren die Freiheit hatten, ohne Präsentationsdruck eine solch gründliche Grundlagenforschung zu betreiben – abseits der öffentlichen Konzertsäle, im geschützten Raum von Workshops, Seminaren und kleineren interreligiösen Feiern.
Doch je sicherer wir uns unserer Sache wurden, umso größer wurde auch der Wunsch, anderen einen ersten öffentlichen Einblick in unsere Werkstatt zu bieten. Es war unser Teammitglied Alon Wallach, der die Idee hatte, eine solche Präsentation in Esslingen am Neckar anzusiedeln: Einer Stadt, die sich – gemessen an ihrer Größe – nicht nur durch eine besonders große Dichte und Vielfalt ihrer religiösen Gemeinschaften auszeichnet, sondern auch durch eine über Jahre gewachsene Vernetzung und Zusammenarbeit ihrer interkulturellen Szene.
Im Gespräch mit den örtlichen Akteuren und Organisatoren entstand die Idee einer gestalterischen Arbeitsteilung: Verschiedenste Esslinger Chöre, Gemeinden und Vereine würden Programmvorschläge liefern, unser TRIMUM-Team würde aus diesen Einzelvorschlägen ein dramaturgisch schlüssiges und interreligiös-theologisch fundiertes Gesamtprogramm entwickeln. Für das Thema „Paradies“, das uns vom Esslinger Kulturamt empfohlen wurde, sprachen gleich mehrere gute Gründe: Das Jahresthema 2014 der KulturRegion Stuttgart lautet „Garten Eden“; das Motto des Musikfest Stuttgart 2014 „Herkunft“. Vor allem aber schien es der ideale Aufhänger für eine jüdisch-christlich-islamische Veranstaltung zu sein: Ein einfaches Thema mit geringem Konfliktpotential – so dachten wir jedenfalls zunächst.
In der konkreten Arbeit freilich erwies es sich dann doch als unerwartet sperrig – und dies nicht nur zwischen den drei Religionen, sondern auch Religions-intern. Christliche Theologen erklärten uns, die landläufige Gleichsetzung von „Paradies“ und „Leben nach dem Tod“ sei ein Missverständnis des Volksglaubens: Man dürfe das „Paradies“ nicht mit dem „Himmel“ gleichsetzen. Der Islam schien in dieser Frage eindeutigter zu sein – doch die muslimischen Kolleginnen und Kollegen konfrontierten uns mit einer (für uns Nicht-Muslime zu Beginn recht verwirrenden) Meinungsvielfalt zu der Frage, wie wörtlich die entsprechenden koranischen Darstellungen zu nehmen seien. Und von jüdischen Mitstreitern bekamen wir anfangs zu hören, das Paradies spiele im Judentum eine sehr untergeordnete Rolle und sie wüssten mit dem Thema herzlich wenig anzufangen.
Bei näherer Betrachtung allerdings offenbarte sich eine wuchernde und anregende Themenvielfalt von teilweise erstaunlicher Aktualität: Schöpfung und Schöpfungsverantwortung, das Verhältnis der Geschlechter, die Frage nach Sündenfall oder Autonomie, die Sehnsucht nach einer verlorenen Heimat – dies alles und noch viel mehr kristallisierte sich als „paradiesische“ Unterthemen heraus.

Gemeinsam den „Garten Eden“ zu entdecken und zu beackern – das bot uns deshalb den idealen Rahmen, um auch die neu geschaffenen Strukturen und Kommunikationsformen unseres eigenen Projekes auf die Probe zu stellen. Die beiden heutigen Veranstaltungen sind deshalb „Werkstattkonzerte“ und „Weltpremiere“ zugleich. Eine vergleichbar intensive Zusammenarbeit von jüdischen, christlichen und islamischen Expertinnen und Experten verschiedener Disziplinen dürfte es noch nie zuvor in der Musikgeschichte gegeben haben. Und doch sind diese beiden Konzerte nur erste Zwischen – und Lernstationen unserer gemeinsamen Forschungsreise.
Vordergründig betrachtet erzählen sie von Adam und Eva, von der Benennung der Tiere, vom Verlassen der Heimat oder von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Zwischen den Zeilen und Musikstücken erzählen sie aber auch davon, wie sich unsere Gesellschaft verändert hat. Wie bereichernd die uns umgebende kulturelle Vielfalt sein kann und wie nah und zugleich fern sich die drei monotheistischen Religionen sind.
Und, was vielleicht am wichtigsten ist: Diese beiden Konzerte erzählen nicht nur vom friedlichen Miteinander der Religionen und Kulturen. Sie sind selbst das Produkt eines solchen Miteinanders: Gemeinsam „erfunden“ und gestaltet in der Begegnung von Kindern und Erwachsenen, Profis und Laien, Alteingesessenen und Migranten. Kurzum: in paradiesischer Vielfalt.

Bernhard König

Das vollständige Programmheft als pdf-Download