Trimum

2012 - Wie klingt, was Du glaubst?

Erste Sondierungen und Vorgespräche

Zwischen Juli und Oktober 2011 wurden zur Vorbereitung auf das Projekt „Trimum“ mehrere Gespräche mit Expertinnen und Experten des interreligiösen Trialogs geführt. Das folgende Protokoll folgt nicht chronologisch dem Verlauf dieser einzelnen Gespräche, sondern fasst zentrale Argumente zu einem synoptischen Querschnitt zusammen.

Zusammenfassung der „Trimum“-Vorgespräche Juli bis Oktober 2011

Vorbemerkung:
Das Protokoll ist durch Zwischenüberschriften in Frageform gegliedert, die allerdings in den Gesprächen nicht immer genau wörtlich gestellt wurden, sondern vielfach erst im Nachhinein zu Strukturierungszwecken eingefügt wurden.
Die bisherigen Gesprächspartner waren überwiegend christlicher Herkunft; in einer zweiten Runde von Vorgesprächen sollten nun nach Möglichkeit weitere Experten jüdischen und muslimischen Glaubens konsultiert werden.

Die einzelnen Gespräche

Tübingen, 15.7.2011: Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein (Neutestamentler),
Prof. Dr. Christoph Schwöbel (Dialog der Kulturen), Prof. Dr. Hermann Lichtenberger (Judaist)

Stuttgarter Lehrhaus, 5.9.2011: Pfarrer Dr. Michael Volkmann, Pfarramt für das Gespräch zwischen Christen und Juden (Akademie Bad Boll); Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs und Vorsitzende des forum jüdischer bildung und kultur e. V.; Meinhard Tenné, Vorstand “Haus Abraham” und “Stuttgarter Lehrhaus”; Karl-Hermann Blickle und Lisbeth Blickle, Vorstand “Haus Abraham” und “Stuttgarter Lehrhaus”.

Stuttgart (29.9.2011): Referenten-Einführungsworkshop mit Rabeya Müller, Islamwissenschaftlerin, Leiterin des “Instituts für interreligiöse Pädagogik” in Köln

Paderborn (13.10.2011): Prof. Dr. Klaus von Stosch (Institut für Katholische Theologie, Studiengang Komparative Theologie der Religionen), Prof. Dr. Harald Schroeter-Wittke (Didaktik der evangelischen Religionslehre mit Kirchengeschichte), Cordula Heupts (Musik- und Theologiestudentin), NN (ein weiterer Student: Schlagzeuger und Theologe)

München (24.10.2011): Dr. Martin Rötting (Occurso Institut für interreligiöse und interkulturelle Begegnung)

FRAGE: Welche Grundbedingungen, welche Grundhaltungen befördern den Dialog bzw. Trialog zwischen den Religionen?

ANTWORTEN (Auswahl):
Eine zentrale Voraussetzung ist die Selbstvertretung der eigenen Identität: Jeder spricht mit seiner eigenen Stimme, jeder moderiert sich selbst.

Keine christlichen Alleingänge, Raum für die anderen Religionen in der Planung und Gestaltung.

Herr Rötting begibt sich auf die Metaebene einer Erforschung interreligiöser Lernprozesse und stellt die Frage: „Wie lernt man eine andere Religion?“ (analog zu: „wie lernt man eine fremde Sprache?“).
Grundannahme 1: Eine fremde Religion kann „gelernt werden“, ohne dass man den Verlust der eigenen Identität befürchten muss. Auch wenn ich eine fremde Sprache lerne, habe ich keine Angst, dass ich deswegen meine eigene Sprache verliere.
Grundannahme 2: Probleme, Missverständnisse etc. sind aus Sicht der Lernforschung nichts Negatives, sondern Gelegenheiten, um zu lernen.

FRAGE: Welche Grundannahmen und Grundhaltungen sind eher hinderlich?

ANTWORTEN:
Jede Form von „pseudoharmonischer Vereinnahmung“ muss vermieden werden. Am Beginn des Projektes darf kein synkretistisches Interesse stehen, sondern eine komparative Neugierde.
Für die Tübinger Gesprächsrunde (Eckstein, Lichtenberger, Schwöbel) stellt das Küng’sche „Projekt Weltethos“ hier eher ein Negativbeispiel dar: Vereinheitlichende Zielvorgaben drohen von vorneherein viele auszuschließen (auf den Punkt gebracht in der paradoxen Kurzformel: „Je universaler, desto exklusiver“).

Alles eindeutig „christliche“ sollte in den übergeordneten Projektzielen und -beschreibungen vermieden werden. Gerade religiöse Minderheiten verwahren sich zu Recht dagegen, von der christlichen Mehrheit deren Inhalte oder Sichtweisen „übergestülpt“ zu bekommen.

FRAGE: Wird unser Vorhaben diesen Grundvoraussetzungen gerecht?

ANTWORTEN:
Frau Traub weist darauf hin, dass der Begriff „Oratorium“ problematisch ist, weil es sich um eine christliche Tradition und Gattungsbezeichnung handelt. Besser wäre ein neutralerer Titel (z.B. „musikalisches Gebet“) oder sogar ein Phantasiewort (wie z.B. unser „Trimum“). Ganz allgemein sind sich die Mitglieder des Stuttgarter Lehrhauses darin einig, dass Chormusik (insbesondere in ihrer polyphonen Ausprägung) als eine tendenziell christliche Tradition wahrgenommen wird, so wie überhaupt die Idee der konzertanten Aufführung von geistlicher Musik.

Ähnlich verhält es sich mit den drei Festival-Überschriften „Glaube – Liebe – Hoffnung“, die eindeutig christlich konnotiert und deshalb als Überschrift für unser projektbezogenes Exposé nicht geeignet sind. Allerdings sind sich die Vertreter des Lehrhauses zugleich auch in der Einschätzung einig, dass sie den Dreischritt “Glaube – Liebe – Hoffnung” von der Sache her positiv bewerten.
a) “Glaube” ist ein stark trennendes Thema (abgesehen vom gemeinsamen Bekenntnis zum Monotheismus) und kann nur komparativ betrachtet werden.
b) Beim Thema „Liebe“ sind die Gemeinsamkeiten größer: Viele ethische Fragen verbinden die drei Religionen.
c) Wenn es um das Thema „Hoffnung” geht, ist die Übereinstimmung am größten (Zitat: „Da gehen wir zu dritt in die gleiche Richtung”).

Auch der Begriff „abrahamitisch“ sollte nicht überstrapazieren werden, da er vielfach umstritten ist und für manche eher abstoßend als einladend wirkt.

FRAGE: Woran lässt sich im Trialog anknüpfen? Welche Gemeinsamkeiten verbinden die drei Religionen?

ANTWORTEN:
Theologisch unumstritten ist der Monotheismus als verbindendes Element. Alle drei Religionen verstehen Gott als „einen“.
Als strittig erweist sich allerdings in mehreren Gesprächen die folgende Passage aus einer älteren Version des Exposés: „Juden, Christen und Moslems glauben nicht an den selben Gott, aber sie alle glauben an den einen Gott.“ Von Stosch weist darauf hin, dass diese Frage strenggenommen selbst eine Glaubensfrage sei: „Ich glaube (oder glaube nicht), dass Juden, Christen und Moslems an den selben Gott glauben“.

Auf praktischer Ebene besteht Einigkeit darin, dass lebendige interreligiöse Begegnungen grundsätzlich zu begrüßen sind. Es ist z.B. soziologisch nachgewiesen, dass die Islamophobie in Deutschland in denjenigen Regionen am höchsten ist, wo Muslime am seltensten sind. Tatsächliche Begegnungen hingegen tragen dazu bei, Pauschalisierungen abzubauen.

Frau Müller stellt ein religionspädagogisches Modell vor, das die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den drei Religionen anhand der „fünf Säulen des Islam“ (= den fünf Grundpflichten jedes gläubigen Moslems) durchdekliniert:

1) Glaubensbekenntnis => Gibt es in allen drei Religionen, es gibt gewisse Ähnlichkeiten, die Bekenntnisse sind aber nicht austauschbar.
2) Gebet => Jede Religion hat ihre spezifischen Gebetshaltungen und Gebetsformeln mit einer jeweils ganz eigenen Klangfarbe und “Choreographie”. All dies ist sehr religionsspezifisch und darf nicht vermischt werden.
3) Almosen („Das Reinigen des Vermögens“) => Spenden, Teilen, Abgeben an Ärmere gibt es auch im Judentum und Christentum.
4) Fasten (im Ramadan) => Für islamische Kinder ist es beeindruckend, zu erfahren, dass an Jom Kippur 24 Stunden gefastet wird. Für viele christliche Kinder ist völlig unbekannt, dass auch die Adventszeit eine Fastenzeit ist.
5) Pilgern => Gibt es auch in den beiden anderen Religionen, zu jeweils anderen Orten.

FRAGE: Wie sinnvoll ist ein religionsübergreifendes Musikprojekt?

ANTWORTEN
Hier sind die Rückmeldungen durchweg sehr ermutigend.
Der theologische Diskurs wirft häufig Fragen auf, die einen Entscheidungszwang hervorbringen („richtig oder falsch“, „ja oder nein“). Musik kann hier eine besondere Chance sein: Die Chance, miteinander in Dialog zu treten, ohne sich zwangsläufig in logische Konzepte pressen lassen zu müssen. Ein „gemeinsames Singen“ könnte – so die mehrfach geäußerte Hoffnung – weniger konfliktträchtig sein, als das „gemeinsame Gebet“ oder die gemeinsame politische Interessenvertretung.
(Zitat: „Dissonanzen, die der Intellekt nicht ertragen kann, werden in der Musik aushaltbar, gestaltbar“).

FRAGE: Welche Schwierigkeiten können aus der inneren Dynamik des Dialogs entstehen?

ANTWORTEN:
Rötting weist darauf hin, dass der intrareligiöse Dialog mindestens genauso schwierig sein kann, wie der interreligiöse Dialog: Wenn jemand bei unserem Projekt mitwirkt (z.B. im Projektchor), dann teilt seine Familie oder Gemeinde diese Erfahrung nicht mit ihm; dadurch gerät er „daheim“ in eine isolierte Position.
Die Angst „wer sich mit einer anderen Religion auseinandersetzt, gefährdet den eigenen Glauben“ ist weit verbreitet – auch im Christentum („außerhalb der Kirche kein Heil“). Wir werden es immer wieder mit der Frage zu tun bekommen: „Darf ich das? Ist das erlaubt? Was soll das?“.
So berichtet beispielsweise Schroeter-Wittke von muslimischen Kindern, die nach einem Kirchenbesuch fasziniert vom Gesang in der christlichen Kirche waren. Dies löste in der islamischen Gemeinde Unmut aus und weckte den Verdacht einer Beeinflussung.

Ganz allgemein ist deshalb mit einem hohen begleitenden Kommentaraufwand während des gesamten Projektes zu rechnen. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass es religiöse Gemeinschaften geben wird, bei denen wir keine aktiv Mitwirkenden finden werden.

Nicht lösen sondern bestenfalls offen benennen lässt sich eine grundlegende Asymmetrie zwischen Mehrheits- und Minderheitenreligion. Das Christentum (oder in diesem Fall: die Bachakademie) verfügt hierzulande über Profimusiker, Profitheologen, professionelles Management usw., während beispielsweise islamische Gemeinden häufig in einem kleinen, unansehnlichen Hinterhof residieren müssen und nicht auf vergleichbare Mittel zurückgreifen können.

FRAGE: Wie kann man diesen Schwierigkeiten vorbeugen oder sie bewältigen?

Ganz allgemein wird von verschiedenen Seiten ein hohes Maß an Redlichkeit und Transparenz empfohlen. Ehrliches Aussprechen der Konflikte, Spannungen und Hürden, Einladung zur Mitgestaltung.
Statt die eigenen Positionen hartnäckig zu verteidigen, lieber zurückfragen: „Was würden Sie stattdessen vorschlagen? Was möchten Sie einbringen?”

Gerade beim Schulprojekt muss gegenüber den Eltern klar gestellt werden, dass es nicht um irgendeine Form von Missionierung geht.

FRAGE: Ist die Konzentration auf Judentum, Christentum und Islam sinnvoll? Ist sie sogar konzeptionell zwingend, weil unser Projekt sonst zu undifferenziert würde?

ANTWORTEN:
In fast allen Gesprächrunden herrscht große Einigkeit darüber, dass diese Konzentration sinnvoll sei.
1) Pragmatische Begründung: Weitere Religionen mit einzubeziehen, würde ein vielfaches an Aufwand bedeuten.
2) Methodische Begründung: Monotheismus als verbindendes Element ist ein plausibles und sinnvolles Auswahlkriterium.
3) Ästhetische Begründung: Die kulturelle Verwandtschaft lässt das Vorhaben einer „religionsübergreifenden Komposition“ zumindest in den Bereich des Machbaren rücken.

Eine Minderheitenposition nimmt hingegen Martin Rötting ein, wenn er dringend empfiehlt, sich gerade nicht auf die drei abrahamitischen Religionen zu beschränken, sondern sich eher an pragmatischen Gegebenheiten zu orientieren (Wer ist vor Ort? Wer ist dazu bereit, in unserem Projektensemble mitzuwirken?)
Zur Begründung führt er an: Gerade weil Judentum, Christentum und Islam eng verwandt sind, bringen sie ein geschichtlich gewachsenes inhärentes Bezugsgefüge mit (Religion x ist Religion y überlegen, weil… / Lehre y wird durch Religion z verwässert, weil…).
Der Begriff „abrahamitisch“ hat deshalb von vorneherein einen Beigeschmack von „problematisch, hürdenreich“. Diese Verwandtschaft kann sehr elegant neutralisiert werden durch eine weitere Partei, die sich außerhalb dieses Bezugssystems befindet – zum Beispiel Buddhisten, Hindus, Bahai, die nicht in dieser Konflikt-Tradition stehen und deshalb ein Element von Unbefangenheit einbringen können.
Rötting weist ferner darauf hin, dass beispielsweise der Buddhismus in Deutschland sehr präsent ist. So war der Vortrag des Dalai Lama beim ökumenischen Kirchentag in Berlin die größte Einzelveranstaltung.

FRAGE: Welches Eigeninteresse könnten die Vertreter der anderen Religionen an unserem Projekt haben? Wie können sie und ihre Gemeinden vom Projekt profitieren?

Es besteht große Einigkeit, dass es nicht nur um die Profilierung der Bachakademie gehen kann, sondern die Eigeninteressen der Partner (z.B. Möglichkeit zur Selbstdarstellung und eigenen Verortung in der Gesellschaft; praktische Synergie-Effekte durch Vernetzung) aktiv befördert und unterstützt werden müssen.

Frau Müller entlarvt die dieser Frage zugrunde liegende Annahme („es bedarf eines besonderen Eigeninteresses, um dieses Projekt für Muslime überhaupt attraktiv zu machen“) allerdings als Ausdruck eines weit verbreiteten Vorurteil: In den Augen der Mehrheitsgesellschaft gelte der Islam weithin als intolerant; den Muslimen werde deshalb unterstellt, sie seien per se nicht interessiert am interreligiösen Dialog oder Trialog.
Diesem Stereotyp hält Frau Müller entgegen, dass der Islam aus theologischer Sicht eine tolerante Religion ist. Aus der Sicht des Koran können Angehörige einer fremden Religion keine „Ungläubigen“ sein, außerdem fordert der Koran explizit zu einem guten und friedfertigen Diskurs auf.

FRAGE: Welche Themen bedürfen einer besonders sensiblen Behandlung?

ANTWORT:
Gerade im Schulprojekt kann es geschehen, dass stereotype Vorurteile zu Tage treten. Christliche Jugendliche werfen den Muslims häufig Ungerechtigkeit gegenüber Frauen vor – die Muslime können sich schwer zur Wehr setzen.
Gegenargument: Der Koran erklärt Mann und Frau ausdrücklich als gleichberechtigt – im AT hingegen wird die Frau dem Mann „aus der Rippe geschnitten“.
Ein weiteres Stereotyp: Islamische Schüler werden von ihren Mitschülern für islamistischen Terror „haftbar“ gemacht. Eine solche pauschalierende Islamfeindlichkeit ist mittlerweile in Deutschland weit verbreitet und tief verwurzelt.

FRAGE: Welche Konfessionen, Abspaltungen oder Untergruppen gibt es (allgemein und konkret im Raum Stuttgart). Worin unterscheiden sie sich? Was müssen wir für unser Projekt beachten?

ANTWORTEN:
Islam: Die erste Gastarbeitergeneration hat häufig keinen intellektuellen Background und wenig theologische Bildung. Sie hat ihren eher volkstümlichen Glauben in Deutschland als „den Islam“ weitergegeben.

Judentum: Es steht zu erwarten, dass wir mit unserem Projekt in erster Linie die liberalen Juden erreichen, während es die orthodoxen eher ablehnen werden.

FRAGE: Wie stark ist die religiöse Identität bei Schulkindern ausgeprägt?

ANTWORT:
Erfahrungsgemäß sind viele islamische Kinder hierzulande in religiöser Hinsicht eher traditionell erzogen. Traditionelle Werte sind stark ausgeprägt, das theologische Wissen hingegen eher gering.
Bei christlichen Kindern sind biblische Lehre und Inhalte weithin unbekannt, Riten und Feiertage sind halbwegs bekannt.
Bei jüdischen Kindern sind die Inhalte häufig gut bekannt, es gibt ein großes aktives Wissen. Es fällt ihnen wegen antisemitischer Tendenzen bei islamischem und christlichen Mitschülern allerdings oft schwer, sich innerhalb der Klasse mit ihrem Wissen zu exponieren.

FRAGE: Welche Gottesvorstellungen haben Schulkinder?

ANTWORT:
Nach landläufiger, klischeehafter Vorstellung ist der Islam vor allem vom „strafenden Gott“, das Judentum vom „gerechten Gott“, das Christentum vom „barmherzigen Gott“ geprägt.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Vorstellungen auch in den jeweils anderen Religionen existieren.

FRAGE: Ist die religiöse Identität an eine andere Sprache geknüpft oder sind Gemeindeleben und Gottesdienst ganz oder teilweise deutschsprachig?

ANTWORTEN:
Islam und Judentum haben eine eindeutige “Sprache der Offenbarung”: Den Koran gibt es nur auf arabisch, die Thora nur auf hebräisch. Diese Ursprache ist vertraut, selbst dann, wenn sie nicht verstanden wird: „Gott klingt arabisch“ für einen Muslim, „Gott klingt hebräisch“ für einen Juden (NB: Auch die arabische Christen sagen “Allah”).

Dennoch hat das reformierte Judentum in Deutschland noch vor dem Katholizismus deutsch als Gottesdienstsprache eingeführt.

Das Christentum ist von Anfang an eine „Religion der Übersetzungen“. Von Stosch und Schroeter-Wittke weisen darauf hin, dass kein einziges Wort des von Jesus gesprochenen Aramäischen überliefert ist – das Griechisch des NT ist vom Aramäischen sprachgeschichtlich extrem weit entfernt (Zitat: „Gott kommt im Christentum nur übersetzt vor – nur so konnte sich ein Konstrukt wie die Dreifaltigkeit durchsetzen“).

FRAGE: Gibt es eine Korrelation zwischen Religionszugehörigkeit und musikalischen Präferenzen?

ANTWORTEN:
Das reformierte Judentum im 19. Jahrhundert war hierzulande, gerade in Sachen Musik, vollständig assimiliert. Es wird sich jedoch von christlicher Seite nur mit größter Vorsicht an diese zerstörte Tradition anknüpfen lassen. Herr Tenné weist beispielhaft darauf hin, dass es bei ihm – wie bei vielen Mitgliedern der Stuttgarter jüdischen Gemeinde – eine große Liebe zur Musik Johann Sebastian Bachs gebe – dass Bach aber als Aktivposten im jüdisch-christlichen Dialog nicht geeignet sei, sondern (u.a. aufgrund der antijudaistischen Texte) eher den trennenden Faktoren zugerechnet werden müsse.

Schroeter-Wittke berichtet von drei musikalischen Grundströmungen in der Türkei:
1) Westliche Musik (z.B. Jazz), bei der man keinen Unterschied zu anderen europäischen oder amerikanischen Metropolen hören kann.
2) Eigene osmanische Tradition
3) Mischformen (vor allem in der Popmusik).

Frau Müller hat eine große Sammlung von Hörbeispielen zu Musikpräferenzen islamischer Kinder und Jugendlicher in Deutschland. Leider gab es in unserem Workshop noch keine Gelegenheit, sich eingehender damit zu beschäftigen.

FRAGE: Gibt es einen klar definierten Kanon an liturgischer Musik? Gibt es generationen-spezifische Unterschiede?

ANTWORTEN:
Im Islam gibt es vereinzelt ähnliche Generationenunterschiede wie im Christentum. Rötting berichtet von einer größeren Veranstaltung zur Koran-Rezitation, bei der ein junger, sehr frommer Muslim eine Art „muslimischen Gospel“ vorstellte, der das Publikum extrem polarisierte.

Im Judentum herrscht prinzipiell eine große Vielfalt (z.B. Verwendung von Keyboards und Schlagzeug in liberalen USA-Gemeinden). Für Deutschland wurde nach 1945 die Lösung der „Einheitsgemeinde“ gefunden: Gottesdienste, die keinen Gläubigen ausschließen. In der striktesten Form bedeutet dies: Einstimmiger hebräischer Kantorengesang im responsorialen Wechsel mit der Gemeinde.

FRAGE: Wie definiert sich das Verhältnis zwischen Gesang und Rezitation? Gibt es „heilige“ Gesänge oder Rezitationen? Dürfen sie in einem außerliturgischen (z.B. künstlerischen) Kontext zitiert werden?

ANTWORTEN:
Der Islam kennt im Unterschied zu Judentum und Christentum keine liturgischen Gesänge. Der Koran wird nicht primär als Schrift offenbart, sondern als Rezitation, als Klang. Die sieben zugelassenen Rezitationsarten sind strengstens normiert, es darf keine achte Rezitationsart geben.
Gerade weil der Koran primär in klanglicher Form offenbart wird und seine Schönheit im Islam als einziges Offenbarungswunder gilt, ist eine künstlerische „Verwendung“ oder gar „Verfremdung“ der Koranrezitation tabu.

Unklar bleibt in unserem Gespräch vorerst, ob der islamische Gebetsruf ebenfalls sakrosankt ist, oder ob er unter Umständen im Kontext einer Komposition verwendbar ist.

Judentum: Viele Kantoren würden außerhalb des Gottesdienstes kein “sh’ma Israel” anstimmen (Zitat Eckstein: „Mancher evangelischer Pfarrer würde sich ebenfalls damit schwer tun, auf der Bühne eine Schaupredigt zu halten“). Wenn überhaupt, dann wäre eine solche Zusammenarbeit nur mit einem Kantor mir reformiertem Hintergrund denkbar.

FRAGE: Gibt es weltliche Musikanteile im sonstigen Gemeindeleben? Können sie für unser Projekt fruchtbar gemacht werden?

ANTWORTEN:
Mehrere Gesprächspartner plädieren dafür, den Begriff „religiöse Musik“ in unserer Programmauswahl nicht zu eng zu fassen. Die Liturgien sind teilweise sehr karg und streng, sie in einem künstlerischen Kontext zu zitieren, ist stets problematisch. An der Peripherie des religiösen Geschehens hingegen ist die Musik überbordend und der Umgang mit ihr unproblematisch.
Gerade das Thema „Hochzeitsmusik“ könnte (gerade angesichts des Festivalthemas „Liebe) für das zweite Jahr unseres Projektes gut geeignet sein. Die Ehe ist aus muslimischer Sicht kein Sakrament, sondern eine weltliche Einrichtung, besitzt aber dennoch eine geistliche Dimension.
Müller berichtet von einem islamischen Wallfahrtslied, dass sie mehrfach im schulischen Kontext verwendet hat.

*FRAGE:
Gibt es theologisch fundierte Negativ-Aussagen über Musik (Musikverbote, Tanzverbote, Tabuisierung bestimmter Instrumente)? Wenn ja: Besitzen sie heute noch Aktualität?*

ANTWORTEN:
Ein umfassendes Musikverbot gibt es im Islam nur bei den Wahabiten, einer konservativen Strömung aus Saudi-Arabien, deren Theologie allerdings hierzulande recht einflussreich ist.
Das entgegengesetzte Extrem sind die Sufi mit Tänzen und Ekstase-Riten. Ihre Praktiken werden von anderen Muslims häufig als „selbstgemachte Ekstase, die von Gott wegführt“ abgelehnt.

Im orthodoxen Judentum darf es seit der Zerstörung des Tempels keine Instrumente in der Synagoge geben.

FRAGE: Gibt es Alternativtexte zum „heiligen“ Kernbestand der Offenbarungstexte? Gibt es kompositorische Verfahren, mit deren Hilfe im Kontext der Komposition auch liturgische Gesänge oder Rezitationen erklingen können, ohne „missbraucht“ zu werden?

ANTWORTEN:
Im Islam könnten sich hier die „99 Namen Gottes“ anbieten. Alle Namen stammen aus dem Koran, sie besitzen eine hohe Dignität, sind aber nicht so heilig wie der Koran selbst. (NB: „Der Barmherzige“ ist im Koran der häufigste Name – der hundertste Name bleibt verborgen und steht für die Geheimnishaftigkeit Gottes.)

Einer muslimischen Paderborner Studentin zufolge (E-Mail-Wechsel im Gefolge des dortigen Gesprächs) gibt es Vertonungen der 99 Namen in der muslimischen Tradition seit vielen Jahrhunderten. Allerdings werden solche Vertonungen von Muslime mit salafitisch-wahabitischem Hintergrund (die in Deutschland sehr präsent sind) häufig abgelehnt.
Zitat: „Wenn dies noch ein nicht muslimische Komponist macht, ist das Eis noch etwas dünner. Wenn diese Arbeit taktvoll und seriös geschieht, sehe ich theologisch keine Hinderungsgründe, das wird aber je nach Publikum nicht immer so gegeben sein.”

Offengeblieben ist bisher die Frage, ob sich die „sieben Rezitationsarten“ des Koran auch auf andere, nicht-religiöse Texte anwenden lassen und dadurch „komponierbar“ werden könnten.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gesprächsrunde im Stuttgarter Lehrhaus schlagen (analog zur graphischen Gestaltung ihres eigenen Logos) eine Ebene von „trennenden“ Klängen vor, die das Autonome, Eigenständige der jeweiligen Religion betonen. Die Musik sollte „Ausstiegs- und Rückzugsmöglichkeiten“ bieten; Stille könnte zu einem wichtigen Element werden.

FRAGE: Gibt es phänotypische Merkmale von geistlicher Musik, die innerhalb der eigenen Kultur eine Platzhalter- oder Zitatfunktion spielen können (wie z.B. der Klang der Orgel im Christentum)?

ANTWORTEN:
Ausgehend vom Thema der unterschiedlichen (schriftlichen bzw. klanglichen) Offenbarung schlägt Schroeter-Wittke vor, die „Schriftlichkeit“ und „Mündlichkeit“ des musikalischen Textes zum eigenständigen musikalischen Parameter werden zu lassen: Manche Abschnitte der Komposition werden nicht notiert und „dürfen“ nur mündlich vermittelt werden. Die verschiedenen „Offenbarungsformen“ finden so eine kompositorische Entsprechung.

FRAGE: Wie klingt „das Fremde“? Wie klingt in den Ohren der jeweils anderen „das Christentum“, „der Islam“ oder „das Judentum“?

ANTWORTEN:
„Tonleitern” als wichtiges gestalterisches Element. Arabische Tonleitern klingen hierzulande beispielsweise fremd, gehen aber auf die gleichen pythagoreischen Wurzeln zurück.

FRAGE: Wie akzeptiert sind Geräusche als musikalisches Element?

ANTWORTEN:
Im Islam gilt die Natur grundsätzlich als Zeichen von Gottes Schöpfung („Selbst die Biene trägt Gottes Offenbarung in sich“). Allerdings ist im Koran vom Naturklang als göttlicher Offenbarung nirgends die Rede – deshalb steht zu befürchten, dass sich traditionelle Muslime davon nicht überzeugen lassen.

Protokoll und Zusammenfassung: BK