Trimum

2012 - Wie klingt, was Du glaubst?

Zur Fotoausstellung von Jane Dunker

“Wie klingt, was du glaubst?”: Ein internationales Musikfestival wie das Musikfest Stuttgart hat diese Frage mit dem Anspruch einer gewissen Allgemeingültigkeit zu stellen. So wird beispielsweise in unserem Symposium nach „der“ Musik der monotheistischen Religionen gefragt, kommen in über 60 Veranstaltungen namhafte Komponisten und musikgeschichtliche bedeutsame Strömungen zu Wort.

Jane Dunkers Fotoausstellung geht einen gänzlich anderen Weg. Nicht von Bachkantaten und Psalmrezitationen ist hier die Rede, sondern von „99 Luftballons“ und „We shall overcome“, vom Klang des Meeres und von der Stille an Ramadan. Nicht an „die“ jeweilige Religion richtet sich hier die Frage nach dem Klang des Glaubens, sondern an Stuttgarterinnen und Stuttgarter ganz unterschiedlicher Herkunft. Nicht auf Theologien und Verkündigungstraditionen wird hier der Fokus gerichtet, sondern auf das ureigenste, private und biographische Verhältnis des Einzelnen zu seinem Glauben und seiner Musik.

Die Kölner Fotokünstlerin Jane Dunker ist prädestiniert für einen solchen Blick. Seit Jahren porträtiert sie Menschen vor dem Hintergrund ihrer „Innenwelten und Außenwelten“. Trotz dieser Vorerfahrungen war die Intensität der Begegnungen im aktuellen Projekt kaum vorhersehbar. „Wie klingt, was du glaubst?“: Für viele Interviewpartner und –partnerinnen war das im ersten Moment eine überraschende, sperrige Frage, die dann aber umso mehr zur Selbstreflektion reizte. Ihre beeindruckende Tiefe und Ehrlichkeit bezogen viele Antworten aus jener Mischung von Motiven, die bereits in der Frage angelegt ist: Spiritualität und Ästhetik; kulturelle, biographische und religiöse Selbstverortung.

Ist diese Ausstellung nun also – weil sie den Einzelnen ins Zentrum rückt und nicht „die Religion“, weil sie sich auf einen begrenzten Zeitraum, auf eine einzige Stadt, auf eine zufällige Auswahl von Personen beschränkt – „weniger allgemeingültig“ als ein theologisches Symposium oder ein trialogisches Konzert? Aus Sicht der jeweiligen einzelnen Religion und ihres Kernbestandes an Glaubensaussagen mag dies so erscheinen. Keiner unserer Interviewpartner hat sich angemaßt, für „den Hinduismus“ oder „das Judentum“ zu sprechen – vielen war es wichtig, klarzustellen dass sie genau dies weder wollen noch können.

Anders fällt die Bewertung aus, wenn man die Ausstellung aus Sicht der vielfältigen Bemühungen um ein friedliches Neben- und Miteinander der Religionen betrachtet, zu denen auch unser Projekt „Trimum“ zählt. Eines der Ziele unseres insgesamt dreijährigen Projektes ist es ja, eines Tages gemeinsam, religionsübergreifend, zu singen und zu musizieren – und dies auf eine Weise, die niemanden vereinnahmt, Unterschiede nicht glättet und das Trennende nicht leugnet.

Doch so wichtig und notwendig es dabei auf theologischer und ästhetischer Ebene sein wird, auf der Autonomie und Eigengesetzlichkeit jeder einzelnen Religion zu beharren, so unübersehbar deutet diese Ausstellung darauf hin, dass es neben der reinen Lehre der jeweiligen Theologie auch noch etwas Zweites gibt: Eine faszinierende Vielfalt religiöser Biographien, die in einer modernen Gesellschaft in den seltensten Fällen ungebrochen und gradlinig zu verlaufen scheinen.

Da ist die russische Musikstudentin, die erst am Sterbebett ihres Großvaters erfährt, dass sie von zwei Rabbinern abstammt und daraufhin beginnt, eine eigene jüdische Identität zu entwickeln. Da ist die junge Hinduistin, die in Ermangelung einer Mitfahrgelegenheit jahrelang in die Kirche statt in den Tempel geht. Da ist die Mutter, die ihre Tochter zur Koranschule schickt, um – selbst in der Türkei streng säkular aufgewachsen – endlich etwas über den Islam zu lernen. Und da sind unzählige, die sich von ihrer Religion entfernt oder sich ihr neu angenähert haben. Die aus Überzeugung konvertiert sind – oder die sich fremden Einflüssen ausgesetzt haben, ohne deshalb ihrem angestammten Glauben untreu zu werden.

Jene Trennschärfe, die unbedingt gefordert werden muss, wenn es darum geht, die Gesänge, Rezitationen und Gebete der verschiedenen Religionen erklingen zu lassen: In den Interviews dieser Ausstellung wird man sie nur sehr selten finden. Und jene „Polyphonie der Religionen“, über die nachzudenken wir uns auf theologischer und musikästhetischer Ebene zu Recht so schwer tun, ist hier, im realen Konzert moderner, großstädtischer Patchwork-Identitäten, längst hundert- und tausendfach verwirklicht.

„Weniger allgemeingültig“ als ein theologisches Symposium oder ein geistliches Konzert ist diese Ausstellung deshalb ganz gewiss nicht. Eher ist sie eine heraufordernde, erhellende und notwendige Ergänzung, die maßgeblich dazu beiträgt, den Anspruch von „Trimum“ und den Anspruch dieses gesamten Festivals einzulösen: Die Frage „Wie klingt, was du glaubst?“ in ihrer ganzen Tiefe und ihrem ganzen Facettenreichtum auszuloten.

Veranstaltungsdaten zur Fotoausstellung