Trimum

TRIMUM - Musik weiter denken

Warum dieses Projekt?

Ein „Interreligiöses Chorlabor“, in dem sich Juden, Christen und Muslime gegenseitig zum Mitsingen einladen und gemeinsam die Schönheit der drei monotheistischen Religionen erleben.

Jüdisch-christlich-islamische Liedersammlungen, an deren Konzeption Theologen, Pädagogen, Wissenschaftler und Komponisten aller drei Religionen mitarbeiten: Für Kindergarten, Schule und Altenheim; für religionsübergreifende Feiern und eine wachsende Kultur der interreligiösen Gastfreundschaft.

Nachfolgeprojekte und Fortbildungen in zahlreichen Städten Deutschlands. Workshops in Schulen, Gemeinden und Altenheimen. Konzerte und musikalische Feiern, in denen religiöse Vielfalt zum Klingen gebracht wird.

2011 haben wir bei Null begonnen und in wenigen Jahren eine Fülle von Aktivitäten entfaltet. Wofür das alles?

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Es läge nahe, einem Projekt wie diesem eine unmittelbar »grenzüberschreitende« und »friedensstiftende« Bedeutung zuzuschreiben. Gerne wird der Musik eine entsprechende, quasi naturgegebene Mittlerfunktion attestiert. Doch im Kontext von Interreligiosität sind solche einfachen Zuschreibungen unangebracht. Eine Koranrezitation, ein gesungenes Kaddisch-Gebet und ein protestantisches Kirchenlied mögen durchaus die eine oder andere phänomenologische Verwandtschaft aufweisen. Doch die theologischen Deutungen dessen, was im Moment des Singens geschieht; die Vorstellungen davon, worin dies Singen begründet ist und was es »bedeutet«, liegen weit auseinander: Wenn es um die drei monotheistischen Religion geht, dann trennt Musik mehr, als dass sie verbindet.

In unseren Veranstaltungen, Neukompositionen und Liedern sollen diese Unterschiede nicht verwischt, sondern offensiv thematisiert und künstlerisch gestaltet werden. Die wichtigste und anspruchsvollste Aufgabe wird deshalb darin bestehen, den »Zwischenräumen«, dem Verbindenden und dem Trennenden der drei Religionen eine adäquate musikalische Form zu geben. Unser ehrgeiziges Ziel: Eine »neue Musik des Trialogs« zu kreieren, die einen ästhetischen Eigenwert besitzt und zugleich aus Sicht aller drei Religionen theologisch legitimiert ist. Auf diese Weise sollen die verschiedenen, heterogenen Bestandteile zu einer übergeordneten Gesamtdramaturgie verbunden werden, die mit ihren Brüchen und Übergängen, Ähnlichkeiten und Kontrasten vom Ist-Zustand des realen interreligiösen Dialogs erzählt.

Begegnung der Religionen und Wertesysteme

Ein solches Vorhaben wirft viele Fragen auf – Fragen, aus denen es seinen besonderen Reiz, seine Faszination, aber auch seine ungewöhnlichen Risiken und Schwierigkeiten bezieht. Da ist zunächst die Frage der Verortung zwischen Konzertsaal, Synagoge, Moschee und Kirche: Völlig unterschiedlichen Bezugssystemen, die jeweils ihre ganz eigenen Spielregeln und Spielräume, Bewertungsmaßstäbe und Tabus mitbringen.

TRIMUM ist ein künstlerisches Projekt. Aber es ist nicht allein dem säkularen Verständnis von künstlerischer Freiheit und Autonomie verpflichtet. Stattdessen wird dieses Autonomie- und Qualitätskonzept mit den Konzepten und Wahrheitsansprüchen dreier Religionen konfrontiert. Die von uns angestrebte »interreligiöse Musik« soll nicht im luftleeren Raum einer bloßen Utopie angesiedelt sein. Jede künstlerische Entscheidung, die ins Religiöse eingreift, soll zugleich auch theologisch legitimiert sein und muss deshalb zwischen den Vertretern der verschiedenen Wertesysteme ausgehandelt werden.

TRIMUM ist ein interreligiöses Projekt. Aber es verharrt nicht im Stadium einer bloßen Darstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Stattdessen werden religiöse Denk- und Wertesysteme mit der spielerisch-experimentellen Arbeitsweise zeitgenössischer Musiker und Komponisten konfrontiert. Theologen, Religionsvertreter und traditionell verwurzelte Musiker werden dadurch ermuntert, sich an den »respektlosen« Fragen von Außenstehenden abzuarbeiten und dabei die Grenzen des »Machbaren« und »Erlaubten« neu auszuloten.
In unserem Projekt prallen also nicht nur die Traditionen dreier Religionen und Herkunftskulturen aufeinander, sondern zugleich auch die gänzlich unterschiedlichen Mentalitäten und Herangehensweisen verschiedener Professionen.

Für den interreligiösen Dialog – dessen bevorzugtes Medium bislang der rein verbale Diskurs war – ergibt sich daraus die Chance einer erheblichen Verlebendigung. Und auch die säkulare Musikkultur kann von dieser Begegnung profitieren. Der sakrale Gesang der drei monotheistischen Religionen ist in einem Maße mit Tradition und Bedeutung, Identifikation und Transzendenz aufgeladen, das unserer Konzertkultur weitgehend abhanden gekommen ist. Eine säkulare und globalisierte Kultur, die kaum noch andere Widerstände kennt als die des persönlichen Geschmacks, sieht sich dadurch vor ungewohnte Grenzen gestellt.
»Darf« eine Koranrezitation in einem musikalischen Kontext erklingen? »Darf« ein orthodoxer jüdischer Gesang auch von Frauen angestimmt werden? »Darf« ein christliches Kirchenlied zum Loblied auf den Propheten Mohammed umgedichtet werden? Fragen wie diese können für beide Seiten gleichermaßen befremdlich und irritierend sein – und damit zugleich auch bereichernd und horizonterweiternd.

Erste Schritte

Wir haben in den drei zurückliegenden Jahren viel Zeit darauf verwendet, Fragen wie diesen nachzugehen und zu diesem Zweck neue Formen und Formate einer prozesshaften künstlerischen Begegnung, Kommunikation und Entscheidungsfindung entwickelt. Unser Anspruch war dabei stets, Interreligiosität nicht bloß mit künstlerischen Mitteln zu thematisieren, sondern sie tatsächlich auf allen Ebenen konsequent zu praktizieren.

2012 rief die Internationale Bachakademie Stuttgart ein zunächst auf drei Jahre begrenztes interreligöses Musikvermittlungsprojekt ins Leben. Die Anfangsmotivation lag zunächst vor allem in der Verortung einer christlich geprägten, klassischen Musik in unserer multireligiösen Gesellschaft. Wie kann diese Musik in einen fruchtbaren Dialog mit anderen Religionen treten? Wie können Kinder und Jugendliche religionssensibel an die Musik Johann Sebastian Bachs und anderer herangeführt werden? Wie kann der kulturellen Segregation im Konzertsaal entgegengewirkt werden, in dem beispielsweise der Islam – gemessen an seiner wachsenden gesellschaftlichen Bedeutung – noch immer stark unterrepräsentiert ist? Fragen wie diese sollten fach- und religionsübergreifend von Theologen, Religionspädagogen, Musikern und Komponisten aller drei Religionen beantwortet werden.

Schnell zeichnete sich das große Potential dieser interreligiösen und zugleich interdisziplinären Zusammenarbeit ab. Neue, weiter reichende Fragen wurden formuliert: Kann Musik zu einem Aktivposten interreligiöser Verständigung werden? Welche neuen musikalischen Formen bringt die Begegnung dreier Theologien und Kulturen hervor? Wie könnte eine »interreligiöse Gebrauchsmusik« beschaffen sein – etwa für den ganz alltäglichen Bedarf in Schule und Kindergarten? Und welche Kriterien muss eine solche Musik erfüllen, um für Juden, Christen und Muslims gleichermaßen verstehbar und rezipierbar zu sein?

All diesen Fragen wurde zunächst ergebnisoffen und ohne Präsentationsdruck nachgegangen. Der größte Teil unserer Aktivitäten hatte einen forschenden, prozesshaften Charakter und fand abseits der Öffentlichkeit, im geschützten Rahmen von Workshops und Seminaren statt. Dabei wurde der Grundansatz eines permanenten Austauschs zwischen musikalischer Praxis und reflektierender Theorie stets beibehalten: Anfang 2013 begann die Internationale Bachakademie einmal monatlich zu einem »Interreligiösen Chorlabor« einzuladen. Jüdische, christliche und muslimische Laiensängerinnen und -sänger konnten hier mit wechselnden Referenten ein religionsübergreifendes Repertoire an tradierten Liedern und Gesängen kennenlernen und einstudieren. In Improvisationsübungen und chorischen Etüden wurde gemeinsam nach ersten, skizzenhaften Ansätzen einer »Musik des Trialogs« gesucht. Parallel dazu wurden in musikwissenschaftlichen Symposien und theologischen Seminaren an mehreren Universitäten die Möglichkeiten und Grenzen eines religionsübergreifenden Singens erforscht.

Musik für Gläubige und Andersgläubige

Für 2015 hatten wir uns dann ein neues Ziel gesetzt: Mit einem großen Konzert anlässlich des Deutschen Evangelischen Kirchentags wollten wir das Potential aus drei Jahren ästhetischer und theologischer Forschungsarbeit künstlerisch auszuschöpfen und in der Öffentlichkeit bekannt machen.

Unser Ziel für diese Veranstaltung: Formen zu finden, die auf exemplarische Weise einladend und anschlussfähig für »Gläubige und Andersgläubige« sind. Ein musikalisches, dramaturgisches und theologisches Konzept also, das von den Gläubigen aller drei Religionen akzeptiert werden kann, ohne die Andersgläubigen auszuschließen.
Für die Verknüpfung von Musik und Interreligiosität standen in der Vergangenheit (wenn man von eher mystisch motivierten Synthesen und Vermischungen absieht) zwei entgegengesetzte dramaturgische Grundmodellen zur Verfügung.

Da ist zum einen das unverbundene Nebeneinander von Einzelbeiträgen, die sich eindeutig einer bestimmten Religion zuordnen lassen und nach dem Prinzip der Selbstrepräsentation ausschließlich von den Vertretern dieser Religion dargeboten werden. In der Theologie wird dieses Dramaturgiekonzept – bezugnehmend auf die seit 1986 stattfindenden Weltgebetstreffen – als »Modell Assisi« bezeichnet und von den meisten Religionsvertretern als legitim anerkannt.

Und da ist zum anderen das Bestreben, ein geschlossenes musikalisches Kunstwerk »aus einem Guss« zu verfassen, das ästhetisch dem künsterlischen Autonomiegedanken des 19. und 20. Jahrhunderts verpflichtet ist und in dem beispielsweise eine große interreligiöse Utopie formuliert ist (Beispiel: Das Oratorium »Weltethos« von Jonathan Harvey und Hans Küng) – oder auch ein großes Klagelied über den Unfrieden zwischen den Religionen (wie etwa in Mauricio Kagels »Liturgien«).

TRIMUM hat den Anspruch, neue Dramaturgiekonzepte zu entwickeln, in denen sich der tatsächliche Ist-Zustand des interreligiösen Dialoges abbildet. Dieser ist hierzulande von einer großen Heterogenität und Ungleichzeitigkeit geprägt. Sensible Zurückhaltung und traditionsbewusste oder orthodoxe Abgrenzungsbestrebungen stehen neben unbekümmerter und freundschaftlicher Kooperation. Gemessen an dieser Realität kann das autonome, in sich geschlossene »interreligiöse Kunstwerk« immer nur für eine ferne Utopie oder für die subjektive religiöse Toleranz des einzelnen Künstlers stehen – während das »Modell Assisi« ein Maß an Ferne, Fremdheit und Unvereinbarkeit heraufbeschwört, das vielfach bereits überwunden ist.

Gestaltung der Zwischenräume

Für unsere eigene Arbeit streben wir deshalb eine Mischlösung an: Wo es um das Innerste, Einzigartige der jeweiligen Religion geht, soll am Prinzip der Selbstrepräsentation festgehalten werden. Wo aus einer Religion heraus Aussagen formuliert sind, die von Vertretern der beiden anderen geteilt werden können, herrscht das Prinzip einer »musikalischen Gastfreundschaft«: Man ist eingeladen, beim anderen mitzusingen. Wo unüberbrückbare Differenzen zu Tage treten, wird versucht, diese Differenzen mit neuen musikalischen Mitteln zu gestalten oder inszenatorisch zu verdeutlichen.

Der daraus resultierenden stilistischen Heterogenität soll durch eine in sich schlüssige und genauestens durchkomponierte Dramaturgie entgegengewirkt werden. Dabei kann ein Teil der Neukompositionen eine wichtige Scharnierfunktion übernehmen. Als überleitende Brücke, trennende Interpunktion oder verdeutlichender Kommentar sorgen sie im Gefüge traditioneller Gesänge, Rezitationen und Chorstücke dafür, dass ein übergeordneter narrativer Bogen entstehen kann.

All dies ist nur mit Hilfe künstlerisch autonomer und zugleich kulturell sensibler Akteure möglich: Mit einem Team also, das vielstimmig und zugleich verständigungsbereit ist. Mit einigem Stolz können wir sagen, dass es uns in den beiden zurückliegenden Jahren gelungen ist, solche Akteure aufzuspüren, zusammenzubringen und zu einem überaus fruchtbaren Dialogprozess anzustiften.

Bernhard König