Trimum

2012 - Wie klingt, was Du glaubst?

Die Idee

Geboren wurde die Idee zu TRIMUM Ende Januar 2011 in einem Gespräch zwischen Christian Lorenz (dem damaligen Intendanten der Internationalen Bachakademie Stuttgart), Christian Zech (dem damaligen Leiter der Bachakademie-Musikvermittlung) und dem Komponisten und späteren Projektleiter Bernhard König.

In diesem Gespräch berichtete Christian Lorenz von seinem Plan, die Musifeste der Jahre 2012-2014 unter die drei Überschriften “Glaube”, “Liebe” und “Hoffnung” zu stellen. Bernhard König legte daraufhin am 11. Februar 2011 den folgenden ersten Entwurf eines mehrjährigen interreligiösen Musikprojektes vor:

Die erste Projektskizze

„TRIMUM“ (Arbeitstitel). Ein abrahamitisches Oratorium

Warum dieses Projekt?
Es zählt zum Auftrag der Bachakademie, die Gattung „Oratorium“ auf zeitgemäße und zugleich traditionsbewusste Weise weiterzuentwickeln. Kirchenmusik nach dem Vorbild Bachs und Luthers – das bedeutet auch: Sich den theologischen Fragen der Gegenwart zuzuwenden und immer wieder neu das Verhältnis von Kunstanspruch und musikalischer Gebrauchsfunktion auszuloten.
Die drei Musikfeste der Jahre 2012-2014 werden unter den Titeln „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“ stehen. Das auf drei Jahre angelegte Projekt Trimum bildet innerhalb dieser Dramaturgie einen roten Faden und erweitert die Perspektive eines „protestantischen Festivals“ um den Aspekt der innerchristlichen Ökumene und des christlich-jüdisch-islamischen Trialogs.
Die Bachakademie leistet mit diesem Projekt einen eigenwilligen und pointierten Beitrag zur Rolle der Musik in einer multireligiösen Gesellschaft. Zugleich positioniert sie sich im gegenwärtigen Richtungsstreit um das angemessene Verhältnis zwischen herkömmlicher Konzertkultur und aktuellem „Konzertpädagogik-Boom“: Unser Projekt nutzt die Errungenschaften, das prozesshafte Denken und die Vermittlungstechniken der Konzertpädagogik als wertvolle Bereicherung – und bekennt sich zugleich entschieden zum Credo der künstlerischen und theologischen Ernsthaftigkeit jenseits aller kulturpädagogischen Verflachung und interreligiösen Verwässerung.

Die drei Projektphasen
Trimum (lateinisch: „dreijährig“) besteht aus drei Projektphasen, die jeweils einem der drei o.g. Musikfeste zugeordnet sind.
Die erste Phase trägt den Titel „Exploratorium“ und stellt eine kulturpädagogische Annäherung an das Thema „Glaubensvielfalt“ in den Mittelpunkt. Die zweite Phase „Laboratorium“ widmet sich vor allem dem theologischen, akademischen und künstlerischen Diskurs. Inhalt und Ziel der dritten Phase „Oratorium“ ist eine exemplarische kompositorisch-künstlerische Ausgestaltung.

1) Exploratorium (2012): „Wie klingt, was du glaubst“?
Die erste Projektphase ist der Vielfalt von Glaubensinhalten, Glaubenssätzen und Glaubenskonzepten in einer multireligiösen Gesellschaft gewidmet. Säkulare „Privatmythologien“ finden hier ebenso ihren Platz, wie streng orthodoxe Bekenntnisse in der Tradition der großen Weltreligionen. Im Zentrum stehen der kulturpädagogische Zugang und die wechselseitige Information, Kenntnisnahme und Horizonterweiterung.

Kulturpädagogischer Zugang
Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterschiedlicher kultureller Herkunft erhalten eine thematische Einführung und ein Interview-Training. Anschließend recherchieren sie sowohl im eigenen kulturellen Umfeld als auch im Rahmen gezielter Exkursionen (etwa in religiöse Gemeinden und Glaubensgemeinschaften, Altenheime und Sozialeinrichtungen). In biographischen Interviews versuchen sie, den Glaubensinhalten ihrer Gesprächspartner auf die Spur zu kommen. Zudem wird jeder Interviewpartner gebeten, ein Lied, eine Melodie oder ein Musikstück zu benennen (und womöglich sogar selber anzustimmen), das die eigenen Glaubensaussagen besonders treffend und anschaulich illustriert und transportiert – oder das vielleicht sogar biographisch mit einem besonderen Glaubenserlebnis verknüpft ist. Zusätzlich können die Interviewpartner fotografisch oder filmisch porträtiert werden.

Abschlussveranstaltung der ersten Projektphase
Unter professioneller Anleitung werden die Rechercheergebnisse von den beteiligten Akteuren künstlerisch aufbereitet und im Rahmen des Musikfestes 2012 in Form einer öffentlichen Lesung mit Konzert- und Ausstellungselementen präsentiert.
Diese Schülerpräsentation ist eingebettet in eine Reihe von kleineren Konzerten, Gottesdiensten, Andachten und zeremoniellen Feiern, in denen die tradierten Gesänge und Liturgien verschiedener Religionsgemeinschaften in ihrer „puren“, unveränderten Form erlebt werden können.
Als drittes Element kann ein Symposium veranstaltet werden, das sich auf theologischer, religions- und musikwissenschaftlicher Ebene mit der Rolle der Musik in den abrahamitischen Religionen (Christentum – Judentum – Islam) beschäftigt. Das Musikfest 2012 wird damit zugleich zum „Scharnier“ zwischen der ersten und der nun folgenden, zweiten Projektphase.

2) Laboratorium (2013): „Was trennt, was verbindet uns?“
Projektphase 2 beginnt dort, wo Phase 1 endete: Beim systematischen Ausloten der Vorraussetzungen und Hürden, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten eines musikalischen Trialogs der drei abrahamitischen Religionen. Wie kann aus dem beziehungslosen, unkommentierten und heterogenen Nebeneinander der verschiedenen „Glaubensklänge“ irgendeine Art von Miteinander werden? Wie viel Dialog, wie viel künstlerische Freiheit ist möglich, ohne dass die jeweilige Musik ihre liturgische Funktion einbüßt? Und wie kann dabei vermieden werden, dass Unterschiede, Fremdheiten und Widersprüche allzu leichtfertig ausgebügelt werden und die naive Illusion einer allumfassenden Harmonie erzeugt wird?

Wissenschaftlicher, theologischer und musikalisch-praktischer Zugang
Diese zentralen Fragen bedürfen einer gründlichen theologischen, religions- und musikwissenschaftlichen Fundierung in Form einer systematischen Gegenüberstellung musikalischer Deutungs- und Bedeutungssysteme und ihrer Anschlussmöglichkeiten.
Diese Auseinandersetzung sollte sich nicht aufs Theoretische beschränken. Parallel zum wissenschaftlichen und theologischen Austausch wird ein „Runder Tisch der Kantoren“ installiert. Kirchenmusiker unterschiedlicher Konfessionen können sich hier mit Vertreter des Synagogalgesangs und der Koranrezitation über ihre Berufe und ihr Musikverständnis austauschen und sich gegenseitige Einblicke in die musikalische Welt ihrer jeweiligen Religion geben. Dabei können unterschiedlichste Aspekte zur Sprache kommen: Von der beruflichen Situation innerhalb der jeweiligen „Gemeinde“ bis hin zur theologischen Bedeutung bestimmter Gesänge oder Gesangspraktiken.

Abschlussveranstaltung der zweiten Projektphase
Am Ende dieses Austauschs kann eine größere Veranstaltung stehen, die sich religionsübergreifend das Verhältnis zum „Anderen“ zum Thema macht: Zu Freund und Feind, Geliebtem und Fremdem, so wie es sich in Liedern, Texten, sakralen Gesängen und Gebeten unterschiedlicher Kulturkreise ausdrückt.
Das Festivalthema „Liebe“ spielt dabei eine wichtige Rolle; dennoch sollte nicht durch eine einseitig positive Zusammenstellung des Programms beschönigt und verharmlost werden. Auch die Hürden, Altlasten und „dunklen Flecken“ im interreligiösen und interkulturellen Verhältnis finden ihren Raum; auch die ausgrenzenden, feindseligen, aggressiven Aspekte religiöser Traditionen kommen zur Sprache.
Anders als in der folgenden, dritten Projektphase wird dabei zunächst noch auf Original-Musiken der beteiligten Kulturen zurückgegriffen. Der kompositorische Eigenbeitrag beschränkt sich auf behutsame Überleitungen und Intermezzi; die Rolle des künstlerischen Leiters ist eher die eines vermittelnden Dramaturgen und „Musikregisseurs“, als die eines Komponisten im üblichen Wortsinn.

3) Oratorium (2014): „Wem singen wir?“
Die dritte Projektphase ist der Komposition und Aufführung des „abrahamitischen Oratoriums“ gewidmet. Auch wenn also am Ende ein ausformuliertes Kunstwerk stehen soll, wird sich die Rolle der Musik nicht darauf beschränken, kompositorisches Bekenntnis oder utopische Botschaft eines einzelnen Künstlers zu sein.
Eine Komposition und Aufführung, die nicht bloß auf ein hiesiges, bürgerlich sozialisiertes und überwiegend christliches Publikum zielt, sondern auch für Vertreterinnen und Vertreter anderer Religionen echte Identifikationsangebote bereithält: Um dieses hochgesteckte Ziel zu erreichen, muss dafür gesorgt werden, dass die religionsübergreifenden und dialogischen Elemente der beiden vorangegangenen Projektphasen auch in der Abschlusskomposition ihren Widerhall finden.
Musikvermittlung, theologischer Diskurs und Komposition bilden deshalb auch und gerade in der letzten Projektphase eine untrennbare Einheit; sämtliche „unterwegs“ gesammelten Lernprozesse und Erfahrungen fließen in die Komposition ein.

Religionsübergreifende Autorenschaft und „abrahamitischer Projektchor“
In der Aufführung manifestiert sich dieser Anspruch vor allem in der Mitwirkung eines religionsübergreifenden „abrahamitischen Projektchores“, der eine aktive Partizipation musikalischer Laien unterschiedlicher Generationen, Religionen und Herkünfte ermöglicht. Auch auf der Ebene der Solisten sollten Vertreter nicht-christlichen Religionen präsent sein.
Aber auch schon die Entstehung der Komposition und insbesondere ihres Textbuches sollte fest in den vorangegangenen theologischen und akademischen Diskurs eingebunden sein. Der oben beschriebene „Runde Tisch der Kantoren“ kann zugleich in beratender und mitgestaltender Funktion am Kompositionsprozess beteiligt werden.

Abschlussveranstaltung der dritten Projektphase
Auch wenn dieses „abrahamitische Oratorium“ in seinem Subtext und seiner Entstehungsgeschichte durch und durch „interreligiös“ ist, muss genau dies nun nicht mehr insistierend in den Mittelpunkt des Textbuches und der Komposition gerückt werden.
Stattdessen kann der gemeinsame Blick nach vorne gewagt werden. Das Festivalthema 2014 gibt dabei die Richtung vor: Worauf hoffen wir? Was sind die Zukunftsthemen, die uns – unter Berücksichtigung, Umschiffung, Unterwanderung und Transformation aller kultureller Barrieren – in ein gemeinsames Gebet, einen gemeinsamen Gesang einstimmen lassen?

(Bernhard König, Februar 2011)

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Ein Jahr später: Die endgültige Projektbeschreibung