Trimum

TRIMUM - Stadtteilkantorat

Ein Rückblick auf sechs Jahre "TRIMUM in Mümmelmannsberg"

2015: Vorgeschichte

Im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2015 wird die interreligiöse musikalische Arbeit von Trimum erstmals einer größeren, überregionalen Öffentlichkeit bekannt. Im Publikum ist auch Stephan Thieme, der kurz zuvor sein Pastorenamt im Hamburger Stadtteil Mümmelmannsberg angetreten hat. Wenig später kontaktiert er unser Team und lädt uns ein, gemeinsam mit ihm einen neuen Beruf zu erfinden. Seine Idee: Mümmelmannsberg braucht einen „interreligiösen Stadtteilkantor“.

2016: Erste Versuche

Trimum-Erfinder Bernhard König besucht mehrfach den Stadtteil und entwickelt gemeinsam mit den Menschen vor Ort in experimenteller Feldforschung erste Umsetzungsideen und Leitlinien für den neuen Zukunftsberuf „Stadtteilkantor“. Die ersten Ergebnisse sind überaus ermutigend. Ob in den örtlichen Grundschule oder im Seniorenheim, bei Stadtfesten oder beim internationalen Friedengebet: Die Bereitschaft zum gemeinsamen religions-, kultur-, und generationsübergreifenden Singen und die Freude an eigens komponierten und getexteten stadtteilbezogenen Songs ist von Anfang an stark ausgeprägt.

2017/18: Ein neues Berufsbild entsteht

Wann immer die Finanzen es erlauben, ist Bernhard König als Stadtteilkantor vor Ort, lädt zum interkulturellen, interreligiösen und generationsübergreifenden „Offenen Singen“ ein, bringt sich in Aktiväten der örtlichen Schulen und Sozialeinrichtungen ein und schreibt neue Stadtteil-Lieder.

Die Idee strahlt aus. Vor Ort wird ein eigener „Stadtteilkantorat e.V.“ gegründet; die Kinder einer örtlichen Grundschule singen auf ihren Schulausflügen interreligiöse Lieder aus dem Trimum-Liederbuch; der Seniorenchor der evangelischen Gemeinde hat ein islamisches Lied in seinem festen Repertoire.
Der Traum eines dauerhaften “Stadtteilkantorats” entsteht. Das Fernziel: Ein musikalisches Zukunftslabor, in dem das interkulturelle, interreligiöse und generationsübergreifende Singen und Musizieren zu einem zentralen Baustein einer übergeordneten Stadtteilidentität wird.

Im Zentrum steht dabei immer die Frage: “Welche Musik braucht dieser Stadtteil?”. Die Arbeitsweise ist strikt prozessorientiert und dialogisch. Ausgangspunkt und Gegenstand der Arbeit sind die Lebensthemen und Lieder, die Ideen, Fragen und Träume der Bewohner*innen. Dazu gehört auch, Stellung zu beziehen und örtliche Themen aufzugreifen. Zum Beispiel, wenn eine Moschee in der Nachbarschaft mit Naziparolen beschmiert wird oder wenn die Kinder einer Grundschule über viele Wochen hinweg bei Staub und Baustellenlärm lernen müssen.

Immer häufiger tragen auch andere Institutionen ihre Vorschläge und Wünsche an den Stadtteilkantor heran – sei es die musikalische Gestaltung des “Tages der seelischen Gesundheit” oder die ungewöhnliche Idee, einen musikalischen “Geburtenmelder” zu installieren, der hoch über den Dächern die Neugeborenen des Stadtteils begrüßt.

2018/19: Vom Stadtteilkantor zum Stadtteilkantorat

2018 wird das Stadtteilkantorat mit “The Power of the Arts”, dem höchstdotierten Preis Deutschlands für kulturelle Bildung, ausgezeichnet. Das Preisgeld macht es möglich, die bis dahin nur sehr vereinzelten Aktivitäten auf eine breitere Basis zu stellen. Ein interkulturell besetztes Team wird zusammengestellt. Mit seiner Hilfe gelingt es noch besser, verschiedene Gruppen des Stadtteils zusammenzubringen, die sich zuvor noch nicht begegnet waren – beispielsweise beim interreligiösen Fastenbrechen im Ramadan oder beim interkulturellen Singen mit Geflüchtete und Senioren in einer örtlichen Sozialstation, die dort zwar schon seit Jahren in verschiedenen Stockwerken nebeneinander lebten, zwischen denen es aber bis dahin keine Berührungspunkte gegeben hatte. Das Stadtteilkantorat lädt regelmäßig zum „Offenen Singen“ ein, bringt sich in örtlichen Festen und Feiern ein und koordiniert die schulübergreifende musikalische Zusammenarbeit der beiden örtlichen Grundschulen.

Die neue Offenheit beginnt sich auch außerhalb von Mümmelmannsberg herumzusprechen. Ein Stadtteil, den man bis dahin eher gemieden hatte, begann die Menschen anzuziehen: Exiliraner aus ganz Hamburg sind ebenso regelmäßig zu Gast wie die liberale jüdische Gemeinde, die einige ihrer religiösen Feste in Mümmelmannsberg feiert und interreligiös öffnet.

2020: Abstand halten und Nähe wagen

Die Corona-Pandemie stellt das Stadtteilkantorat vor neue Herausforderungen, eröffnet aber auch neue Chancen. Die Pandemie hat Mümmelmannsberg besonders hart getroffen. Innerfamiliäre Konflikte, beengte Wohnsituationen, Einsamkeit, wirtschafliche Not, oder schulischer Aufholbedarf haben sich zusätzlich verschärft. Wir sind der Überzeugung: In einer solchen Situation braucht es keine zusätzlichen kulturellen Angebote in digitaler Form, sondern mehr denn je zwischenmenschliche Kontakte und eine unmittelbare Resonanz von Mensch zu Mensch. Musik als „Berührung auf Abstand“ ist dafür in besonderem Maße geeignet.
Gleichzeitig beinhaltet sie aber auch ein besonderes Gefährdungspotential (Stichwort „Gesang und Aerosole“), so dass Hygienekonzepte und Abstandsregeln zu den entscheidenden Parametern der Planung werden.
Dank einer Förderung durch den Quartiersfonds Hamburg Mitte kann das Stadatteilkantorat mit Formaten wie Stadtteilkantorat on tour und Ein Haus für alle auf diese besondere Herausforderung reagieren. Die Hintergründe der Planung illustriert der Sachbericht des Stadtteilkantorat e.V. an den Quartiersfonds.

2021: Eine neue Aufgabe

2021 tritt unsere Arbeit vor Ort in eine neue Phase ein. Der Trimum e.V. übernimmt eine Aufgabe, die weit über das rein Musikalische hinausgeht: Als sogenannte “Stadtteilkümmerer” werden wir beauftragt, die Vernetzung und Kommunikation im gesamten Quartier zu unterstützen. Dazu zählt beispielsweise das Initiieren von intergenerationellen und interkulturellen Begegnungen oder die Beteiligung an verschiedenen Planungs- und Beteiligungsverfahren. Ein erstes Highlight für uns: Gemeinsam mit zahlreichen örtlichen Institutionen und Vereinen planen und organisieren wir ein großes Stadtteilfest mit einem abwechslungsreichen Programm an rund 25 Stationen.

Viele Zukunftsideen – und ihr Scheitern

Die neue Aufgabe als “Stadtteilkümmerer” erfüllte uns mit großer Freude und wäre in unseren Augen eine einzigartige Gelegenheit gewesen, “unseren” Stadtteil, seine Bewohner*innen und Themen noch sehr viel besser kennenzulernen und künftig auch jene zu erreichen, die man sonst mit kulturellen Angeboten nicht erreicht. Ideen für die Zukunft gab es viele. So wollten wir ab Herbst 2021 damit beginnen, die Vielfalt des Stadtteils in einem mehrjährigen Projekt für alle sichtbar zu machen und miteinander zu feiern. Auch unser neues Format Stunde der Zukunft hätten wir gerne dauerhaft nach Mümmelmannsberg geholt.

Leider sind wir mit unserem Plan, auf diese Weise zugleich auch eine Grundlage für ein erweitertes und dauerhaftes Stadtteilkantorat zu legen, auf schmerzliche Weise gescheitert. Unser örtlicher Partnerverein hat beschlossen, die musikalische Arbeit vor Ort künftig alleine fortzusetzen. Ohne diese Basis vor Ort, ohne Räumlichkeiten und Infrastruktur sehen wir für Trimum in Mümmelmannsberg keine Zukunft mehr. Deshalb mussten wir uns im Herbst 2021 schweren Herzens von diesem sehr besonderen Stadtteil und seinen Menschen verabschieden.