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Fugato: Ausgangsfragen

Was können wir tun? Diese Frage stellten sich im Herbst 2015 Musikerinnen und Musiker der Württembergischen Philharmonie Reutlingen. Wie kann man mit Mitteln der Musik jenen Menschen begegnen, die bei uns Zuflucht vor Terror und Krieg suchen? Wie kann man ihnen eine Stimme geben und sie dabei unterstützen, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen? Wie können wir uns als Orchester in dieser Situation positionieren, worin könnte unsere Aufabe bestehen?

Was können wir tun? Diese Frage stellten sich zur gleichen Zeit auch die Förderer und Akteure von Trimum. Kann der Ansatz von Trimum auch für die Begegnung mit Flüchtenden fruchtbar gemacht werden: Über die Grenzen der Kulturen und Religionen hinweg miteinader zu musizieren, ohne dabei die kulturellen Unterschiede und Differenzen aus dem Blick zu verlieren?
Gemeinsam sind die Württembergischen Philharmonie und die Vordenker von Trimum diesem Impuls nachgegangen: Einen Beitrag zum aktuellen Geschehen leisten zu wollen – und zugleich die Tatsache ernst zu nehmen, dass wir noch keinen fertigen Plan, keine fertige Antwort darauf haben, wie dieser Beitrag aussehen kann.

Fragende Grundhaltung

Welche Rolle kann Musik spielen, wenn Menschen gerade erst einer existentiellen Notlage entkommen sind, ihre Heimat und oft auch ihre Familie verloren haben und nun in fremder Umgebung, unter den erschwerten Bedingungen eines unsicheren Rechtsstatus’, eine neue Existenz aufbauen möchten? Was bewegt und beschäftigt sie, was sind die Themen, denen mit musikalischen Mitteln eine Stimme gegeben werden könnte? Hilft es ihnen, dem was sie erlebt und erlitten haben, eine künstlerische Form und einen musikalischen Ausdruck zu geben? Kann die Musik ihrer Herkunftskultur zur Stärkung ihrer kulturellen Identität beitragen? Oder möchten sie sich neuen Themen, neuen Melodien und Klängen zuwenden und das Erlebte hinter sich lassen? Als Initiatoren des Projektes wollen wir diese Fragen nicht alleine beantworten. Statt uns vorschnell auf den einen oder anderen Weg festzulegen, machen wir uns zusammen mit unseren Mitwirkenden auf die Suche: Mit rund 70-80 jungen Männern und 15-20 Frauen, die zum größten Teil aus Afghanistan, teilweise auch aus anderen Ländern stammen und erst seit wenigen Monaten eine Bleibe in Reutlingen, Tübingen oder Esslingen gefunden haben. Statt von einer vorab definierten Zielvorgabe auszugehen, die einseitig unser eigenes Kulturverständnis fortschreibt, entwickeln wir unsere künstlerischen Ziele in einem behutsamen Prozess des Kennenlernens und der Annäherung, begleitet durch interkulturelle Vermittler und intensiv unterstützt durch zahlreiche Akteure der lokalen Flüchtlingshilfe.

Fremdheitsgefühle und Musik

Der Name unseres Vorhabens, „Fugato“, ist ein Fachbegriff aus der klassisch-europäischen Musik. Ein „Fugato“ ist ein Musikstück, in dem verschiedene Stimmen sich aufeinander beziehen und einander imitieren, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Noch keine ausgewachsene „Fuge“ nach allen Regeln der Kunst (so nennt man die sehr viel vollkommenere große Schwester des Fugatos), aber ein erster Schritt dorthin. Eine Andeutung jenes Miteinanders, das sich ergeben würde, wenn alles sich fügen würde.
In „Fugato“ steckt aber auch das lateinische Wort für „Flucht“. Man kann ein Fugato auf zweierlei Weise hören: Die Stimmen fügen sich nicht nur, sie fliehen auch voreinander. Vielleicht ein Hinweis auf die zentrale Beziehungsweisheit, dass Annäherung Zeit braucht – und dass jedes gelingende Miteinander sowohl Nähe und Übereinstimmung als auch Distanz und Autonomie erfordert?
Zur Zeit wird das Thema „Flucht“ überschattet durch wechselseitige Fremdheitsgefühle, durch Ängste, Irritationen, Polarisierungen und Gewalt. Was können wir tun? Im Alltag sind Fremdheit, Verschiedenheit und Dissonanzen manchmal schwer erträglich. In der Musik können sie eine Bereicherung sein. Sie können bewusst gestaltet und auf einer symbolischen Ebene spielerisch vergrößert, verkleinert oder gar überwunden werden. Miteinander Musik zu machen macht Spaß, verbindet und schafft angstfreie Räume. In einem solchen Raum Fremdheit wahrzunehmen, zu begrüßen und ihre Schönheit zu erkennen (ehe man mit allen Mitteln versucht, sie zu überwinden) – das wäre in der gegenwärtigen Situation schon viel.